Parlament

Zwölf von zwanzig Bundes­tags­wahlen fanden im September statt

Eine ältere Frau mit rotem Hut und Pelzmantel wirft am 2. Dezember 1990 einen Stimmzettel in eine Wahlurne in einem Wahllokal in Leipzig bei der ersten gesamtdeutschen Bundestagswahl.

Wählerin bei der Stimmabgabe in einem Wahllokal in Leipzig bei der ersten gesamtdeutschen Bundestagswahl m 2. Dezember 1990. (© Presse- und Informationsamt der Bundesregierung/ Harald Kirschner)

Eine Bundestagswahl im Februar ist ein Novum. Aber es ist nicht das erste Mal, dass zu einem ungewohnten Termin abgestimmt wird. Zum 21. Mal in der Geschichte der Bundesrepublik, zum zehnten Mal im wiedervereinigten Deutschland, wird 2025 ein neuer Bundestag gewählt. Als Wahltag wurde nach dem vorzeitigen Ende der Koalitionsregierung und dem Willen der parlamentarischen Mehrheit, die Legislaturperiode vorzeitig zu beenden, vom Bundespräsidenten Sonntag, der 23. Februar 2025, festgelegt.

Am Wahltag die Volksvertreter in allgemeiner, unmittelbarer, freier, gleicher und geheimer Wahl bestimmen zu können, wie es im Grundgesetz heißt, gehört zum Kern der Demokratie. Regelmäßig alle vier Jahre ist diese Möglichkeit zum „Personalwechsel“ vorgesehen, dem demokratischen Urprinzip folgend, dass Macht nur auf Zeit verliehen wird. 

Winter-Wahl im Februar ist ein Novum

Wann in Deutschland gewählt werden kann oder muss, ist im Artikel 39 des Grundgesetzes festgelegt. Das Bundeswahlgesetz enthält weitere Vorschriften rund um die Wahl.

Auch wenn sich in den letzten Jahrzehnten die Herbstmonate als Zeitraum für die Bundestagswahl durchgesetzt haben, ja zu einem Kontinuum in der politischen Kultur geworden sind es war nicht immer so. In welchem Monat, ja zu welcher Jahreszeit die Bundestagswahl stattfindet, das hat sich im Lauf der Zeit schon einige Male stark verschoben. In diesem Jahr liegt eine besonders krasse Abweichung vor. Eine Bundestagswahl im Februar ist ein Novum.

Normalfall September 

In den allermeisten Fällen der zurückliegenden nunmehr 20 Bundestagswahlen, wurde im Herbst und zwar im September gewählt. Und auch das lässt sich noch für die übergroße Zahl von zehn Wahlen auf die zweite Septemberhälfte eingrenzen. Ebenso wie für die frühe Bundesrepublik galt bislang auch für das wiedervereinigte Deutschland: Herbstzeit ist Bundestagswahlzeit.

Nach der zweiten gesamtdeutschen Bundestagswahl vom 16. Oktober 1994 war es sogar ununterbrochen die zweite Septemberhälfte, in der Bürgerinnen und Bürger dazu aufgerufen waren, ihre Abgeordneten zu wählen: Am 27.9.1998, 22.9.2002, 18.9.2005, 27.9.2009, 22.9.2013, 24.9.2017 und 26.9.2021.

In jeweils zwei Jahren fiel die Wahl sogar auf den gleichen Kalendertag: 22. und 27. und der 18., 24. und 26. sind zeitlich auch nicht weit davon entfernt. Auch bei den Bundestagswahlen unmittelbar nach der Staatsgründung hatte sich, abgesehen von der ersten Bundestagswahl am 14. August 1949 schon bald die September-Tradition etabliert: Gewählt wurde am 6.9.1953, 15.9.1957, 17.9.1961, 19.9.1965 sowie am 28.9.1969.

Vorgezogene Neuwahlen 1972

In den 1970er-Jahren geriet diese Tradition dann aus dem Takt: So fand die vorgezogene Bundestagswahl von 1972 am 19. November statt, diejenige im Jahr 1976 am 3. Oktober und die von 1980 am 5. Oktober. Um für stabile Mehrheitsverhältnisse zu sorgen, hatte Bundeskanzler Willy Brandt im September 1972 die Vertrauensfrage gestellt und damit nach drei Jahren den Weg für vorgezogene Neuwahlen eröffnet. Die sechste Wahlperiode war vorzeitig beendet.

Bei den folgenden Abstimmungen gelang es, den Wahltermin wieder vorzuziehen: auf Anfang Oktober. Um schneller zur wertgeschätzten „Normalität“ zurückzukehren, änderten Regierungs- und Oppositionsfraktionen kurz vor Ende der siebten Legislaturperiode 1976 den Artikel 39 des Grundgesetzes, der die Dauer der Wahlperiode festlegt. 

Gerade und ungerade Wahljahre

Bis zur erneuten Änderung in der 13. Wahlperiode 1998, als man zur ursprünglichen Formulierung zurückkehrte, hieß es dort zwischenzeitlich: „Der Bundestag wird auf vier Jahre gewählt. Seine Wahlperiode endet mit dem Zusammentritt des neuen Bundestages. Die Neuwahl findet frühestens 45, spätestens 47 Monate nach Beginn der Wahlperiode statt. Im Falle einer Auflösung des Bundestages findet innerhalb von 60 Tagen die Neuwahl statt. Der neue Bundestag tritt spätestens am 30. Tag nach der Wahl zusammen.“

Es kam durch den „Bruch“ von 1972 auch erstmals seit Gründung der Bundesrepublik zu einer geraden Jahreszahl für Bundestagswahlen. Erst nach dem Ende der rot-grünen Koalition 2005 wurden die Bürger wieder in ungeraden Jahren zum Urnengang aufgerufen. Da der damalige Bundeskanzler Gerhard Schröder eine Auflösung des Parlaments durch die Vertrauensfrage am 1. Juli herbeiführte, konnte es nach der nur dreijährigen Dauer der 15. Legislaturperiode bei einem Wahltermin im September bleiben.

Erster Winter-Wahlkampf 1983

Sucht man nach echten statistischen Ausreißern bei Monat und Jahreszeit des Wahltages, die auch noch jahreszeitlich in die Nähe des aktuellen Termins rücken, muss man sich die achtziger Jahre anschauen: Wahltage waren in der Dekade der 6. März 1983 und der 25. Januar 1987.

Mit einem konstruktiven Misstrauensvotum hatten CDU/CSU und FDP am 1. Oktober 1982 Bundeskanzler Helmut Schmidt (SPD) als Regierungschef gestürzt und Oppositionsführer Helmut Kohl (CDU) zum neuen Bundeskanzler gemacht. Den Machtwechsel wollte sich Kohl von der Bevölkerung durch Neuwahlen bestätigen lassen und stellte dazu nach dem Vorbild Willy Brandts im Dezember 1982 die Vertrauensfrage. Gemäß dem Plan der neuen Regierungskoalition entzog ihm daraufhin der Bundestag das Vertrauen. Der Bundespräsident löste das Hohe Haus auf und bestimmte als Wahltermin den 6. März 1983. Deutschland hatte seinen ersten Winter-Wahlkampf.

Nach der Wiedervereinigung wurde die laufende zehnte Legislaturperiode zeitlich etwas verkürzt, um noch 1990 einen möglichst frühen Termin für die erste gesamtdeutsche Wahl zu ermöglichen. Nur zwei Monate nach den Feierlichkeiten zur Wiedervereinigung am 3. Oktober 1990 konnte so die erste gesamtdeutsche Bundestagswahl am 2. Dezember 1990 abgehalten werden.

Änderungen des Artikels 39 des Grundgesetzes

Nach diesem kurzen Mäandern aber einmal, leicht, in der 1970er-Jahren und, um ein halbes Jahr in Richtung Winterhalbjahr verschoben, in den 1980er-Jahren und 1990 kehrt der „Strom“ der Zahlenreihe wieder in sein vormaliges, eingeschliffenes und ruhiges „September-Flussbett“ zurück. Und es schien bis zum Bruch der Ampelkoalition im November 2024 so, als habe sich der September als Hauptwahlmonat fest etabliert.

Nach 1994 hatte Deutschland schnell wieder zum Wahltag im September zurückgefunden. Aber nun zeichnete sich ein neues Problem ab. Die Perspektive vor Augen, dass der Wahltermin sich im Lauf der Zeit schrittweise unabänderlich immer weiter Richtung Sommer und damit in die Hauptferienzeit verschieben könnte, änderte der Bundestag in der 13. Wahlperiode den Artikel 39 erneut, um den zeitlichen Rahmen, innerhalb dessen die Neuwahl stattfinden muss, um einen Monat hinauszuschieben, auf nunmehr mindestens 46, höchstens 48 Monate nach Beginn der Wahlperiode.

Grenzen für die Dauer der Wahlperiode

Jetzt galt es, ein Abdriften des Wahltermins in die andere Richtung zu vermeiden. Die Bundestagsfraktionen erläuterten in ihrem Gesetzentwurf vom Dezember 1997, „ein Vorrücken des Wahltermins kann nach der bestehenden Rechtslage auch dann nicht auf Dauer vermieden werden, wenn die rechtlich möglichen Zeiträume für die Neuwahl des Deutschen Bundestages (45 bis 47 Monate nach Beginn der Wahlperiode) und für den Zusammentritt des neuen Deutschen Bundestages (30 Tage nach der Neuwahl) anders als nach bisheriger Praxis vollständig ausgeschöpft werden“.

„Selbst dann“ sei aufgrund von Paragraf 16 Satz 2 des Bundeswahlgesetzes, wonach Wahltag nur ein Sonntag oder ein bundesweiter gesetzlicher Feiertag sein kann, „langfristig ein Vorrücken des Wahltermins in kleinen Schritten nicht vermeidbar“. Mit der Neuregelung aber werde möglich, dass die zukünftigen „Wahltermine durchgängig von dem Fall einer Auflösung des Deutschen Bundestages abgesehen in den Monaten September bis November liegen können und dadurch eine Kollision mit den Hauptferienzeiten vermieden werden kann“.

Da bei einer Neuwahl des Deutschen Bundestages im 48. Monat der Wahlperiode „sich diese je nach Zeitpunkt des Zusammentritts des neuen Deutschen Bundestages auf bis zu neunundvierzig Monate verlängern“ könne, musste, für den Fall, dass es doch einmal vier Jahre und ein Monat wird, auch noch der erste Satz des Artikels 39 angepasst werden: Der Bundestag wird „vorbehaltlich der nachfolgenden Bestimmungen“ auf vier Jahre gewählt, heißt es nun dort.

Seit 1994 wird im September gewählt

So geben die rechtlichen Grundlagen keine Jahreszeit oder gar einen bestimmten Monat vor, in dem gewählt werden muss. Aber sie bieten einen Rahmen, der das verfassungsmäßig Gebotene und das politisch und gesellschaftlich Gewünschte möglich machen soll: Die Teilnahme möglichst vieler Wahlberechtigter, einen Bundestagswahltermin mitten im Herbst, kein zeitliches Zusammenfallen mit Ferienzeiten sowie ausreichend Spielraum für Verschiebungen.

Politik und Gesellschaft in Deutschland haben sich in den letzten Jahrzehnten daran gewöhnt, dass in Wahljahren in der parlamentarischen Sommerpause, parallel zur Hauptferienzeit der Menschen, der Wahlkampf seinen Hochlauf nimmt und schließlich im September in die Bundestagswahl mündet.

Erstmals seit 1994 wählt Deutschland den Bundestag nun nicht im September. Eine Debatte darüber, wie es in Zukunft weitergehen und man zum traditionsreichen Termin im Herbst zurückkommen könnte, hat bereits begonnen. Die Gesetzeslage gewährt dafür den nötigen, wenn auch engen, zeitlichen Spielraum.

Vor oder zurück zu einem Herbsttermin

Der Tag des Zusammentritts des neuen Bundestages, also spätestens der 25. März 2025, ist entscheidend für die Festsetzung des nächsten regulären Wahltermins im Jahr 2029. Vom März zurück zu einem Termin im September oder Oktober, verteilt über mehrere Legislaturperioden, ist ein weiter Weg, egal in welche Richtung man ihn geht. Eine „Wahl-Wanderung“ über den Sommer wäre beschwerlicher, würde länger dauern und der Weg mitten durch die Hauptferienzeit führen. Bei jeder der kommenden Abstimmungen hieße es, den Termin so weit es geht hinauszuschieben.

Ein terminlicher „Rückwärtsgang“ wäre im Vergleich zum Hinausschieben der einfachere und auch kürzere Weg. Zwei weitere Wahlperioden und Winter-Wahlkämpfe lang müsste die Wahlperiode immer strikt nach bereits 46 Monaten enden. Die Bundestagswahl 2029 könnte dann im Januar und 2033 im Dezember stattfinden. (ll/03.02.2025)