Wissenschaftspreis des Deutschen Bundestages 2025

Bundestagsvizepräsidentin Yvonne Magwas (Mitte) mit den beiden Preisträgern Nicole Hövelmeyer und Felix Lücke im Reichstagsgebäude (© DBT/Inga Haar)
Wissenschaftspreis 2025 an Nicole Hövelmeyer und Felix Lücke verliehen
Bundestagsvizepräsidentin Yvonne Magwas (CDU/CSU) hat am Dienstag, 28. Januar 2025, den Wissenschaftspreis 2025 des Deutschen Bundestages an die beiden Rechtswissenschaftler Dr. Nicole Hövelmeyer und Dr. Felix Lücke verliehen. Gegenstand der beiden preisgekrönten Arbeiten sind die ungeschriebenen Regeln im Parlamentsrecht, zum einen in Großbritannien, zum anderen in Deutschland.
Magwas: Beitrag zur Weiterentwicklung unserer parlamentarischen Demokratie
Magwas betonte bei der Preisverleihung, gerade in einem politisch gereizten Klima bekomme die Frage, wie im Parlament die ungeschriebenen Regeln zu bewahren, womöglich auch zu stärken sind, besondere Dringlichkeit. Beide Arbeiten erwiesen sich hier als „ein Beitrag zur Weiterentwicklung unserer parlamentarischen Demokratie“.
Eine unabhängige neunköpfige Fachjury aus Rechts-, Politik- und Geschichtswissenschaftlern hatte im Auftrag der Bundestagspräsidentin die Auswahl über die Vergabe des Preises aus 21 eingereichten Arbeiten getroffen.
Souveränität im britischen Parlamentarismus
Nicole Hövelmeyer, Jahrgang 1994, wurde für ihre 2024 veröffentlichte und mit summa cum laude bewertete Dissertation mit dem Titel „Brexit als vermeintliche Rückkehr zur constitutional orthodoxy. Selbstbindung des Westminster Parliament nach dem Austritt aus der Europäischen Union“ ausgezeichnet.
Hövelmeyer stellt zwei Rechtsauffassungen gegenüber: einerseits die „constitutional orthodoxy“, die formelle und materielle Schranken bei der Gesetzgebung aufgrund der traditionsreichen britischen Parlamentssouveränität nahezu vollständig ausschließt, und andererseits „new view“, bei dem die materielle Parlamentssouveränität unberührt bleibt und nur eine Bindung an formelle Grenzen der legislativen Gewalt möglich sein soll.
Selbstbindung des Parlaments
Die Autorin stellt fest, dass historisch die politische, nicht die normative Selbstbindung des Parlaments der Regelfall war. Mit politischer Selbstbindung sind Schranken gemeint, die sich nicht gesetzlich, sondern durch öffentlichen Druck und aus Angst vor politischen Konsequenzen ergeben.
Während der Mitgliedschaft Großbritanniens in der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft und später in der EU habe es eine Abkehr von der traditionellen „constitutional orthodoxy“ gegeben. Nach dem Brexit ist eine Rückkehr zur „constitutional orthodoxy“ nach Einschätzung Hövelmeyers insgesamt jedoch nicht zu beobachten.
„Argumentationstiefe und Darstellung herausragend“
Für die Jury lobte Prof. Dr. Christian Waldhoff, dass Hövelmeyers Arbeit dem deutschen Publikum wichtige aktuelle Informationen für das Funktionieren des Westminster-Parlamentarismus liefert, die an die aktuelle Parlamentsdiskussion im Vereinigten Königreich anschließen. Die Jury habe Argumentationstiefe und Darstellung einhellig als herausragend bewertet und dabei Klarheit, Gründlichkeit und gute Verständlichkeit hervorgehoben.
Nicole Hövelmeyer wurde nach dem Jurastudium 2023 in Münster promoviert. Im selben Jahr trat sie in den juristischen Vorbereitungsdienst ein und arbeitete bis Oktober 2024 parallel als wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für internationales und vergleichendes öffentliches Recht in Münster am Lehrstuhl von Professor James Fowkes, L.L.M. (Yale).
Geschriebene und ungeschriebene Regeln im Bundestag
Der zweite Preisträger Felix Lücke, Jahrgang 1997, erhielt die Auszeichnung für seine ebenfalls mit summa cum laude bewertete Dissertation, die 2024 unter dem Titel „Nicht kodifizierte Regeln im Deutschen Bundestag. Eine empirische und rechtssystematische Studie über das informale Parlament“ erschien.
Lücke beschäftigt sich darin mit geschriebenen und ungeschriebenen Normen des Parlamentsrechts. Da auch ungeschriebene, weder in Grundgesetz, Gesetzen oder der Geschäftsordnung niedergelegte Regeln und Verhaltensweisen des Deutschen Bundestages rechtsverbindlich werden können, sei eine „terminologische Schärfung“ notwendig, so der Autor.
Rechtssystematische Einordnung nichtkodifizierter Regeln
Im ersten Teil teilt Lücke nichtkodifizierte Regeln anhand von neun Kategorien ein und identifiziert Leitprinzipien, von denen sie getragen sind, etwa Zweckmäßigkeit, Proportionalisierung parlamentarischen Handelns, prozessuale Fairness und gegenseitige Rücksichtnahme sowie Flexibilisierung und Beständigkeit.
Im zweiten Kapitel folgt die rechtssystematische Einordnung. Die Geschäftsordnung des Bundestages als Kern der kodifizierten Regeln dient nur als Anknüpfungspunkt für die ungeschriebenen Normen. Die nichtkodifizierten Regeln unterteilt Lücke in parlamentarische Konventionalregeln und nicht-rechtsverbindliche Akte der Courtoisie und der Parlamentsbräuche. Rechtsquelle ist das Gewohnheitsrecht, das dem kodifizierten Parlamentsrecht als „äquivalente Nebenordnung“ gegenübersteht.
„Wichtiger Beitrag zur parlamentarischen Rechtsquellenlehre“
Professor Waldhoff würdigte die rechtliche Einordnung als wichtigen Beitrag zur parlamentarischen Rechtsquellenlehre, konkret zur Unterscheidung zwischen rechtlich verbindlichem Gewohnheitsrecht einerseits und dem nur traditionalen Parlamentsbrauch andererseits. Die Arbeit Lückes sei bereits als eines der „juristischen Bücher des Jahres“ ausgezeichnet worden.
Felix Lücke studierte Rechtswissenschaft an der Juristischen Fakultät der Gottfried-Wilhelm-Leibniz-Universität Hannover und wurde dort 2023 promoviert. Er war bis 2024 wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehrstuhl für Öffentliches Recht und Sozialrecht.
Ähnliche Phänomene in unterschiedlichen Traditionen
Die Besonderheit der diesjährigen Preisverleihungen liegt nach Auffassung der Jury darin, so Professor Waldhoff, dass ähnliche Phänomene in unterschiedlichen Parlamentstraditionen gegenübergestellt werden: der auf ungeschriebenen Regeln und Konventionen basierende englische Parlamentarismus einerseits und der vergleichsweise dicht durchnormierte Deutschen Bundestag andererseits.
Für Waldhoff erfüllen damit beide Arbeiten das Kernanliegen des Wissenschaftspreises: herausragende Forschung zu Parlamenten und Parlamentarismus werde mit einem übergreifenden Interesse von Öffentlichkeit und Praxis „gekonnt verbunden“.
Mit 10.000 Euro dotierter Preis
Hövelmeyer und Lücke teilen sich den mit 10.000 Euro dotierten und in diesem Jahr zum 20. Mal verliehenen Wissenschaftspreis. Seit 1997 wird er alle zwei Jahre verliehen. Erster Preisträger war 1989 der spätere Bundesverfassungsrichter Dr. Udo Di Fabio. Der Preis würdigt hervorragende wissenschaftliche Arbeiten der jüngsten Zeit, die zur Beschäftigung mit den Fragen des Parlamentarismus anregen und zu einem vertieften Verständnis parlamentarischer Praxis beitragen.
Der Jury gehören in der laufenden Wahlperiode an: Prof. Dr. Gabriele Abels (Eberhard-Karls-Universität Tübingen), Prof. Dr. Sabine Freitag (Universität Bamberg), Prof. Dr. Thomas Mergel (Humboldt-Universität zu Berlin), Prof. Dr. Andreas Rödder (Johannes-Gutenberg-Universität Mainz), Prof. Dr. Martin Sebaldt (Universität Regensburg, selbst Preisträger 1997), Prof. Dr. Stefanie Schmahl, LL.M. (Universität Würzburg), Prof. Dr. Suzanne S. Schüttemeyer (Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg, selbst Preisträgerin 1999), Prof. Dr. Christian Waldhoff (Humboldt-Universität zu Berlin). Prof. Dr. Sophie Schönberger (Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf) ist am 1. November 2024 aus der Jury ausgeschieden. (vom/28.01.2025)