Statement zum Jahresbericht 2025, Bundespressekonferenz
Sehr geehrte Damen und Herren,
als ich Ihnen in den letzten Jahren hier in der Bundespressekonferenz meine Jahresberichte vorstellte, berichtete ich Ihnen von der bedrückenden Lage der SED-Opfer. Es sind die Schicksale von Menschen, die in der Diktatur für Freiheit und Selbstbestimmung gekämpft haben und für ihren Widerspruch vom SED-Regime hart bestraft wurden. Stigmatisierung und Ausgrenzung, berufliche Benachteiligung, Zersetzung, politische Haft, Eigentumsentzug, politisch motivierter Kindsentzug, um nur eine Reihe der Instrumente des Repressionsapparates zu nennen. Diese Repression, sie hat Folgen. Folgen, die die Betroffenen bis heute begleiten. Repressionserfahrungen, wie politische Haft, sind eben keine Episode im Leben eines Menschen. Kein kurzer Umweg, nach dem dann alles in gewohnten Bahnen weiter verläuft. Diesen täglichen Kampf mit den Schatten der Vergangenheit beschrieb mir eine Frau, die als Jugendliche im Geschlossenen Jugendwerkhof Torgau inhaftiert war, mit den Worten: „Der erste Gedanke, wenn ich morgens aufwache, ist Torgau. Und der letzte, bevor ich abends einschlafe, ebenso.“
Ich berichtete Ihnen hier vor der Bundespressekonferenz von den Schicksalen der Menschen, denen droht, dass sie ins Abseits unserer heutigen Gesellschaft geraten, wenn die Politik nicht handelt. Davon, dass rund die Hälfte der Opfer an der Grenze zur Armutsgefährdung lebt. Und davon, dass die breite Mehrheit der Betroffenen von politischer Gewalt bei der Anerkennung ihrer verfolgungsbedingten Gesundheitsschäden scheitert. Und ebenso, dass Betroffenengruppen, die staatliches Unrecht in der DDR erlebt haben, keinerlei Unterstützung erhalten, da sie in unseren Gesetzen schlichtweg nicht vorkommen.
Heute darf ich Ihnen von einer deutlich veränderten Lage berichten. Unter schwierigsten politischen Rahmenbedingungen zwischen Regierungsbruch und Neuwahl, hat der Deutsche Bundestag Anfang des Jahres die Unterstützung der Opfer der SED-Diktatur auf ein neues Fundament gestellt. Auf ein Fundament, durch einen einstimmigen Beschluss von Bundestag und in Folge von Bundesrat. Die Betroffenen von politischer Gewalt in der DDR werden nun endlich besser vor prekären Lebensverhältnissen und Altersarmut geschützt.
Ganz konkret:
- Mit einer deutlichen Erhöhung der Opferrente und der anschließenden Dynamisierung. Eine Opferrente, die nicht mehr an die Bedürftigkeit gekoppelt ist und so zu einer echten Ehrenpension wird.
- Zugleich gibt es eine Erhöhung der Ausgleichsleistung für beruflich Verfolgte und eine Verkürzung von Verfolgungszeiten.
Zudem haben Bundestag und Bundesrat eine grundlegende Vereinfachung der Anerkennung von verfolgungsbedingten Gesundheitsschäden beschlossen! Wer beispielsweise politischer Häftling war und heute an einer Posttraumatischen Belastungsstörung leidet, muss nicht mehr den Zusammenhang zwischen erlebter Repression und heutiger Krankheit beweisen. Was für eine Erleichterung für die Betroffenen!
Darüber hinaus wurden Lücken in unseren Gesetzen geschlossen:
- Endlich erfahren die Opfer der Zwangsaussiedlung an der innerdeutschen Grenze eine Anerkennung. Ausgedrückt durch eine Einmalzahlung.
- Endlich gibt es ein generelles Recht zur erneuten Antragsstellung und damit einen wichtigen Schritt hin zur Gleichbehandlung der Betroffenen in allen Bundesländern.
- Und endlich werden Menschen, die außerhalb der DDR von der Staatssicherheit verfolgt wurden, als Opfer anerkannt und erhalten Zugang zu Leistungen.
Gleichzeitig hat der Bundestag den bundesweiten Härtefallfonds auf den Weg gebracht. Ein ganz wichtiges Instrument, um Betroffenen im ganzen Land schnell und unbürokratisch helfen zu können! Mit dem Beschluss des Gesetzes kann auch das Geld, die sechs Millionen Euro, die IKEA zur Verfügung stellt, nun den Betroffenen zugutekommen. IKEA war eines der Unternehmen, das Waren zu DDR-Zeiten verkauft hat, an deren Produktion politische Häftlinge in den Gefängnissen beteiligt waren. Gerade der gemeinsame Weg mit IKEA ist für mich ein Zeichen der Ermutigung. Die positive Resonanz bei den SED-Opfern und auch in der breiten Öffentlichkeit ist für mich Ausdruck eines gesellschaftlichen Klimas, in dem Unternehmen, die sich diesem schwierigen Teil der Unternehmensgeschichte stellen und uns dabei unterstützen den Opfern zu helfen, Respekt und Anerkennung erfahren. Es geht nicht um Schuld oder Buße. Nein, es geht um gegenseitigen Respekt und Wertschätzung.
Vor ein paar Wochen fragte mich eine Journalistin, bezogen auf das Einheitsjubiläum, was für mich persönlich „Deutsche Einheit“ bedeutet. „Frau Zupke, nehmen wir uns denn überhaupt gegenseitig wahr?“ Dass Abgeordnete aus vier unterschiedlichen Fraktionen, Abgeordnete aus Ost- und Westdeutschland, ostdeutsche Abgeordnete, die die Diktatur selbst erlebt haben oder nach dem Ende der DDR geboren wurden, gemeinsam mit Abgeordneten aus Westdeutschland, einen solchen Beschluss für die Opfer der SED-Diktatur auf den Weg gebracht haben. Das ist für mich die besondere Verantwortung im Umgang mit unserer Geschichte. Das ist für mich gelebte deutsche Einheit. Dies ist jedoch nur eine Seite von 35 Jahre Deutsche Einheit in diesem Jahr.
Es beunruhigt mich zutiefst, wenn Umfragen zeigen, dass in Ostdeutschland mehr als die Hälfte der Befragten den Eindruck haben, dass sie keinen politischen Einfluss besitzen. Dass wir aus ihrer Sicht nur scheinbar in einer Demokratie leben, tatsächlich aber die Bürgerinnen und Bürger nichts zu sagen hätten. Ob Demokratie oder Diktatur, eigentlich ist es doch egal. Wenn wir für solche Sichtweisen nach Erklärungsmustern suchen, gibt es für mich keine einfachen Antworten. Ja, das Leben in der SED-Diktatur hat die Familien im Osten Deutschlands über Jahrzehnte geprägt. Eine Prägung, die weit über Mauerfall und Wiedervereinigung hinaus ihre Wirkung entfaltet. In vielen Gesprächen erlebe ich auf der einen Seite eine Skepsis gegenüber allem Staatlichen und gleichzeitig paradoxerweise auf der anderen Seite auch den Wunsch, dass der Staat die Dinge regeln solle. Die DDR zurück aber wünschen sich nur die allerwenigsten.
Auch beim Blick auf die Wiedervereinigung gehen die Sichtweisen in unserer Gesellschaft mitunter auseinander. Die unterschiedlichen Perspektiven im Blick auf die Zeit der Teilung und auf die Wiedervereinigung miteinander ins Gespräch zu bringen, ist daher eine besondere Herausforderung. Als SED-Opferbeauftragte des Bundestages ist es meine Aufgabe, hier die Perspektive der politisch Verfolgten in den gesellschaftlichen Diskurs einzubringen. Über das Unrecht zu informieren und um Empathie für die Opfer zu werben. Ich sehe daher ganz besonders die Menschen, die in der Diktatur unter der fehlenden Freiheit gelitten haben und politische Verfolgung erleben mussten. Für mich als Opferbeauftragte haben sich die Mühen und Herausforderungen der Wiedervereinigung für jeden einzelnen politischen Häftling, der heute in Freiheit leben kann, mehr als gelohnt.
Gleichzeitig müssen wir zur Kenntnis nehmen, dass die Jahre nach der Wiedervereinigung für viele Menschen in Ostdeutschland mit ganz persönlichen Härten verbunden gewesen sind: der Verlust des Arbeitsplatzes, berufliche Zurücksetzung, Existenzängste, nicht erfüllte Hoffnungen, ein massiver Wegzug aus den kleineren Städten und dem ländlichen Raum und ein Verlust an Infrastruktur. Auch darüber sollten wir in unserer Gesellschaft offen sprechen. Als SED-Opferbeauftragte ist es mir aber dabei wichtig, dass wir Ursache und Wirkung nicht miteinander verwechseln. Viele der Herausforderungen, insbesondere der 1990er-Jahre, stehen in direktem Zusammenhang mit den Folgen der SED-Diktatur. Die marode Wirtschaft, die Umweltverschmutzung, der Verfall der Städte und ein Staatsapparat, in den die Bürgerinnen und Bürger kein Vertrauen haben konnten, sind hier nur einige Beispiele. Vor 35 Jahren war schnelles Handeln notwendig, auch um weitere Abwanderung aus dem Osten Deutschlands zu verhindern. Dass nicht bei jeder Entscheidung die langfristigen Folgen vorhergesehen werden konnten, ist aus meiner Sicht mehr als nachvollziehbar. Auch mit Blick auf die beschriebenen Härten und Herausforderungen der Wiedervereinigung, wird für mich der Wert der erkämpften Freiheit für unser gesamtes Land damit nicht geschmälert.
Für den Dialog in unserer Gesellschaft ist es aus meiner Sicht wichtig, dass wir ein festes Fundament haben. Das Fundament für den Dialog über Teilung und Einheit ist aus meiner Sicht das Wissen um die Diktatur und ihre langfristigen Folgen. Und gleichzeitig, dass wir das Unrecht in der DDR klar als Unrecht benennen. Die Menschen im Osten Deutschlands haben in meinen Augen nicht, wie der Alterspräsident des Bundestages es in seiner Eröffnungsrede im Bundestag darstellte „an Freiheit“ gewonnen. Nein, es war die Freiheit überhaupt, die Menschen sich erkämpften. So haben die Demonstranten 1989 auf der Straße auch nicht „ihren Beitrag im Interesse einer Demokratisierung der Gesellschaft geleistet“. Die Menschen, die 1989 und in den Jahrzehnten zuvor Widerspruch gegen das Regime übten, haben die Demokratisierung überhaupt erst ermöglicht!
Viele dieser Menschen, denen wir unsere Einheit verdanken, wurden Opfer politischer Gewalt. Unser Platz als demokratische Gesellschaft ist daher an der Seite dieser Menschen. Ich sehe es als unsere Aufgabe, die Opfer der SED-Diktatur zu würdigen und gleichzeitig den Wert der Freiheit in die Gesellschaft zu vermitteln. Mit meinem Jahresbericht möchte ich zu der Arbeit an diesem Fundament unserer demokratischen Gesellschaft einen Beitrag leisten.
Erstens:
Der Bundestag hat den Paradigmenwechsel im Umgang mit den Opfern der SED-Diktatur eingeleitet und der neue Koalitionsvertrag kündigt an, diesen gemeinsamen Weg für die Opfer fortzusetzen. Ganz konkret geht es mir als Opferbeauftragte um die minderjährigen Opfer des DDR-Staatsdopings. Unser Blick fällt viel zu häufig nur auf die Olympiasieger. Das DDR-Sportsystem hat jedoch eben nicht nur Medaillen und Weltmeister produziert. Das DDR-Sportsystem ist ebenso verantwortlich für tausende Menschen, die bis heute an den körperlichen und seelischen Folgen des Zwangsdopings leiden. Mir geht es um die Frauen und Mädchen, die unter dem Vorwand des Verdachts auf eine Geschlechtskrankheit, zwangseingewiesen wurden in geschlossene venerologische Stationen. Eingewiesen, um sie ideologisch zu „sozialistischen Persönlichkeiten“ zu erziehen. Tagtäglich mussten sie gegen ihren Willen erniedrigende, gynäkologische Untersuchungen erdulden. Erlebnisse, die sie bis heute verfolgen. Und mir geht es um die Frauen, die in der DDR im Rahmen der Anti-D- Immunprophylaxe durch verseuchte Ampullen mit dem Hepatitis-C-Virus infiziert wurden. Ein Medizinskandal, der in der DDR über Jahre vertuscht wurde, obwohl die verantwortlichen Mediziner die Gefahren kannten. Ich werbe für mehr Wahrnehmung und bessere Hilfen für diese Opfergruppen!
Zweitens:
Unser Wissen über die Diktatur und vor allem auch über deren Folgen, muss weiter wachsen. Die im Koalitionsvertrag angelegte Fortsetzung der Förderung der Forschung zu SED-Unrecht und seinen Folgen durch den Bund ist ein wichtiges Signal in die Forschungslandschaft. Und ein Signal gegenüber den Einrichtungen der Vermittlung von Geschichte. Ich werbe dafür, dass die Förderung die Grundlage für eine dauerhafte Einrichtung von entsprechenden Lehrstühlen an den Universitäten schafft. Ergänzt um ein jeweiliges Netzwerk von Gedenkstätten und weiteren Einrichtungen, um so insbesondere den Praxistransfer zu leisten.
Drittens:
Immer weniger Bürgerinnen und Bürger verfügen über eigene Erfahrungen aus der Zeit der Deutschen Teilung. Damit schwinden individuelle Anknüpfungspunkte für das Erinnern. Was wir brauchen, sind Brücken zwischen der Vergangenheit und unserer Gegenwart.
Brücken, wie die Gedenkstätten. Unsere Gedenkstätten sind Lernorte für Demokratie. Ihren baulichen Erhalt zu sichern und sie gleichzeitig in ihrer Vermittlungsarbeit, insbesondere im digitalen Raum, zu stärken, ist notwendig. Nur so können gerade junge Menschen sich mit diesem Teil unserer Geschichte auseinandersetzen. In den letzten Monaten wurde viel über Investitionen in unsere Infrastruktur gesprochen. Für mich sind die Gedenkstätten Teil der kritischen Infrastruktur unserer Demokratie. So wie wir Schienen, Straßen und Brücken sanieren und modernisieren. So müssen wir auch unsere Einrichtungen zur Geschichtsvermittlung fit machen für die Herausforderungen von Gegenwart und Zukunft. Jeder Euro in das Gedenken und Erinnern ist eine Investition in unsere Demokratie. Ich werbe daher dafür, dass die Infrastruktur-Milliarden auch der Gedenkstättenlandschaft in unserem Lande zugutekommen sollten.
In den letzten Monaten wurde ein konkreter Standort gefunden für das Mahnmal für die Opfer des Kommunismus. Ein Standort im Herzen unserer Demokratie – direkt zwischen Kanzleramt und Bundestag. Ich wünsche mir, dass der Bundestag in den beginnenden Haushaltsverhandlungen die Mittel für die Errichtung des Mahnmals bereitstellt. Mit diesem Mahnmal würdigen wir nicht nur die Opfer. Das Mahnmal an so zentraler Stelle unseres wiedervereinigten Landes, ist auch ein Signal in die Welt. Die Opfer von Diktatur – Sie wissen uns an ihrer Seite.
Vielen Dank!