Kontroverse um Umsetzung des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems
Der Bundestag hat am Donnerstag, 9. Oktober 2025, in erster Lesung den Gesetzentwurf der Bundesregierung „zur Anpassung des nationalen Rechts an die Reform des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems“ (GEAS-Anpassungsgesetz, 21/1848, 21/2460) beraten. Nach einstündiger Debatte wurde der Entwurf zur federführenden Beratung in den Innenausschuss überwiesen.
Ebenfalls in erster Lesung beraten wurde der Gesetzentwurf der Bundesregierung „zur Änderung des AZRG und weiterer Gesetze in Folge der Anpassung des nationalen Rechts an das Gemeinsame Europäische Asylsystem“ (GEAS-Anpassungsfolgegesetz, 21/1850, 21/2462). Auch hier ist der Innenausschuss federführend.
Die EU-Asylreform sieht unter anderem einheitliche Asylverfahren an den EU-Außengrenzen vor – mit dem Ziel, Migranten gegebenenfalls direkt von dort abschieben zu können. Außerdem soll das bisherige sogenannte Dublin-Verfahren geändert werden, das regelt, welcher Mitgliedstaat für das Asylverfahren eines Schutzsuchenden zuständig ist.
Minister: Migrationswende in Europa durchsetzen
Während die Vertreter der Regierungskoalition die Neuregelung verteidigten, kritisierte die AfD die GEAS-Reform als „hohlen Popanz“; Grüne und Linke beklagten dagegen massive Asylrechtsverschärfungen zu Lasten Schutzsuchender.
In der scharf geführten Debatte sagte Bundesinnenminister Alexander Dobrindt (CSU), GEAS sei die „Grundlage, um die Migrationswende in Europa durchzusetzen“. Bei der Reform gehe es darum, ein neues „Gleichgewicht aus Humanität, Solidarität und Ordnung“ zu schaffen. Das bedeute, die Lasten gerecht in Europa zu verteilen.
Als „drei große Elemente“ des GEAS nannte Dobrindt, dass die EU-Außengrenzen gesichert und Asylverfahren dort durchgeführt werden, dass Sekundärmigration unterbunden wird und dann die Solidarität wirksam werde, die Staaten an den EU-Außengrenzen nicht dabei alleine zu lassen, die Asylverfahren abzuarbeiten.
„Rahmenbedingungen für Return-Hubs schaffen“
Vorgesehen sei auch, in Deutschland „Sekundärmigrationszentren“ einzurichten, aus denen Betroffene, für die die Bundesrepublik nicht zuständig sei, in die EU-Staaten mit entsprechender Zuständigkeit zurückgeführt werden können, betonte der Minister. Dazu gehöre auch, „Wohnsitz- und Aufenthaltspflichten“ zu verhängen. In diesen Zentren solle es die Möglichkeit geben, in das zuständige Land auszureisen, „aber nicht, sich frei in Deutschland zu bewegen“.
Zusammen mit anderen EU-Staaten sei Deutschland derzeit dabei, das Europäische Asylsystem weiter zu „schärfen“, fügte der Ressortchef hinzu und plädierte für sogenannte „Return-Hubs“, also „Rückkehrzentren für abgelehnte Asylbewerber“, die nicht in ihre Heimatländer zurückgeschickt werden könnten, aber „in heimatnahe Regionen“. Hierzu müssten im neuen GEAS auch die rechtlichen Rahmenbedingungen für die Einrichtung solcher Return-Hubs geschaffen werden.
AfD: Maßnahmen vollkommen wirkungslos
Dr. Bernd Baumann (AfD) beklagte eine „massenhafte illegale Einwanderung“ als „das zentrale Problem“ Deutschlands. Die Mehrheit der Deutschen fühle sich „überfremdet im eigenen Land“. Mit der GEAS-Reform lege die Bundesregierung „ihren zentralen Baustein für eine angebliche Begrenzung der Migration“ vor, doch sei GEAS „vollkommen wirkungslos“ und die ganze Reform „reine Makulatur“.
Auf der Ebene der Europäischen Union sei über GEAS „von der links-grünen Ampel“ verhandelt worden, die die Migration nicht habe begrenzen wollen. Diese Politik setzten CDU und CSU nun fort und „verkaufen das noch als Migrationswende“. GEAS verteile die Migranten „per Zwangsquoten auf die Mitgliedsstaaten“, die sie „unbegrenzt“ aufnehmen oder „horrende Strafen zahlen“ müssten.
Migrationsbeauftragte: Nicht das Ende des Flüchtlingsschutzes
Die Beauftragte der Bundesregierung für Migration, Flüchtlinge und Integration, Natalie Pawlik (SPD), sagte, auch wenn mit der GEAS-Reform der „Weg zu mehr Steuerung“ genommen werde, sei dies nicht das Ende des internationalen Flüchtlingsschutzes. Bei den Verhandlungen über die Regierungsvorlagen sei der SPD unter anderem wichtig gewesen, dass die Einrichtung von Sekundärmigrationszentren „eine Option und keine Pflicht für die Bundesländer“ seien.
Pawlik betonte zugleich, Kritik aus der Zivilgesellschaft an den Gesetzentwürfen ernst zu nehmen. Es werde Regelungen geben, „die an die Grenze dessen gehen, was das Grundgesetz, die EU-Grundrechtecharta und die Genfer Flüchtlingskonvention zulassen“. Diese blieben aber „unser Kompass“.
Grüne: Frontalangriff auf Schutzsuchende
Dr. Irene Mihalic (Bündnis 90/Die Grünen) warf der Bundesregierung einen „Frontalangriff auf Schutzsuchende“ vor. Die geplanten Sekundärmigrationszentren dienten keinen anderen Zweck, „als Menschen de facto zu inhaftieren“. Auch sollten nach den Regierungsplänen Asylsuchende spätestens zwei Wochen, nachdem die Zuständigkeit eines anderen EU-Staates für ihr Verfahren feststeht, von allen Leistungen ausgeschlossen werden.
In diesem Zeitraum wolle die Regierung „aber nicht dafür sorgen, dass diese Menschen den zuständigen Staat auch praktisch erreichen können“. Man könne ihnen jedoch nicht Nahrung und Unterkunft verweigern, wenn nicht die Möglichkeit eines Transfers in das zuständige Land garantiert sei.
Linke beklagt „faktische Haftbedingungen“
Clara Bünger (Die Linke) kritisierte, die GEAS-Reform sehe beschleunigte Asylverfahren direkt an der Grenze vor, „oft unter faktischen Haftbedingungen, mit eingeschränktem Rechtsschutz und kaum Zugang zu Rechtsberatung“. Dies habe mit Asylrecht nichts mehr zu tun. Menschen, die vor Krieg fliehen, sollten eingesperrt werden, „obwohl sie nichts gemacht haben, außer einen Asylantrag zu stellen“.
Auch in Deutschland werde „Haft künftig zum Normalfall im Asylverfahren“. Hinter den von der Koalition geplanten Aufnahmeeinrichtungen für Sekundärmigration verberge sich „nichts anderes als ein neues System geschlossener Lager“, in denen bereits in einem anderen EU-Staat registrierte Menschen „vollkommen isoliert“ untergebracht werden sollten. Dies gehe weit über die GEAS-Vorgaben hinaus.
Union erwartet Sekundärmigrationszentren in allen Ländern
Alexander Throm (CDU/CSU) äußerte die Erwartung, dass alle Bundesländer künftig Sekundärmigrationszentren einrichten. Wenn die Bundesregierung diese Möglichkeit schaffe, „dann müssen die Länder diese auch entsprechend nutzen“, sagte Throm.
Auch werde man ausreisepflichtigen Personen, für deren Asylverfahren Deutschland nicht zuständig sei, die Sozialleistungen entsprechend kürzen. Wenn feststehe, dass Deutschland für ein Verfahren nicht zuständig sei, stehe es jedem „Dublin-Flüchtling“ frei, die Bundesrepublik „freiwillig in das für ihn zuständige Land zu verlassen“.
SPD: Ordnung und Humanität
Sonja Eichwede (SPD) betonte, mit der Reform werde ein „wichtiger Schritt für mehr Ordnung und Humanität“ umgesetzt und klar geregelt, welcher Mitgliedsstaat die Zuständigkeit für das jeweilige Asylverfahren trägt. Durch ein verbessertes Screening an den Außengrenzen würden Schutzsuchende erfasst, wodurch besser nachzuvollziehen sei, wo Personen bereits registriert wurden und welches Land zuständig ist.
So komme man zu einer gerechteren Steuerung und weniger Sekundärmigration, was zu einer Entlastung der Binnengrenzen führen werde. Funktioniere alles, könnten damit auch die Grenzkontrollen in Deutschland wieder entfallen.
Erster Gesetzentwurf der Bundesregierung
Das GEAS-Anpassungsgesetz zielt darauf ab, das nationale Recht an die Reform des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems (GEAS) anzupassen und umfasst wesentliche Änderungen im Asyl- und Aufenthaltsrecht. Das GEAS sei die Grundlage, um Migration insgesamt zu steuern und zu ordnen, humanitäre Standards für Geflüchtete zu schützen und irreguläre Migration zu begrenzen, schreibt die Regierung.
Von der ausgewogenen Balance aus Verantwortung und Solidarität werde Deutschland als Zielstaat von irregulärer Sekundärmigration deutlich profitieren.
„Klarheit und Rechtssicherheit schaffen“
Die Anpassungen des Europäischen Rechts haben nach Angaben der Bundesregierung weitreichende Auswirkungen auf die Praxis; dort seien die Verfahren den neuen Vorgaben anzupassen. Um der Verwaltungspraxis in Bund, Ländern und Kommunen für die konkrete Umsetzung möglichst frühzeitig Klarheit und Rechtssicherheit zu verschaffen und Zeit für die operativen Vorkehrungen zu belassen, sei die Verabschiedung der Anpassung des nationalen Rechts an die GEAS-Reform bereits deutlich vor der Anwendbarkeit der Rechtsakte erforderlich.
Aufgrund des EU-rechtlichen Verbots, Vorschriften aus Verordnungen im nationalen Recht zu wiederholen (Wiederholungsverbot), müssten entsprechende Regelungen in bestehenden Gesetzen gestrichen werden. Die GEAS-Rechtsakte würden zahlreiche Regelungen vorsehen, die von den Mitgliedstaaten gesetzlich ausgefüllt werden müssen.
Ebenso müssten Zuständigkeiten gesetzlich geregelt werden. Als Zielstaat irregulärer Sekundärmigration seien für Deutschland insbesondere die umfassende Registrierung nach der Eurodac-Verordnung sowie funktionierende Verfahren zur Bestimmung des zuständigen Mitgliedstaats wichtig
Zweiter Gesetzentwurf der Bundesregierung
Zur Anpassung des nationalen Rechts in der Zuständigkeit des Bundes an die Vorgaben der GEAS-Reform sind dem Entwurf zufolge insbesondere das AZR-Gesetz (Ausländerzentralregistergesetz) sowie die AZRG-Durchführungsverordnung anzupassen. Auch weitere Gesetze seien vom Änderungsbedarf betroffen.
So werde sichergestellt, dass zum einen die nationalen leistungsrechtlichen Regelungen den Vorgaben der EU-Rechtsakte entsprechen und dass zum anderen die Änderungen von Begrifflichkeiten und Verfahren sowie die Anpassung von Zuständigkeiten durch die GEAS-Reform im Ausländerzentralregister abgebildet werden. (sto/hau/ste/09.10.2025)