Parlament

Merz: Europa muss seine Möglichkeiten entschlossener nutzen

In einer Regierungserklärung hat Bundeskanzler Friedrich Merz (CDU) am Donnerstag, 16. Oktober 2025, erläutert, mit welchen Positionen er in den Europäischen Rat am 23. und 24. Oktober in Brüssel gehen will. In der anschließenden Debatte stieß er auf teils heftige Kritik der Opposition. Merz kommt in Brüssel mit den anderen Staats- und Regierungschefs der EU sowie Ratspräsident Antonio Costa und Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen zur formellen Ratssitzung zusammen.

Merz: Friedensmacht Europa stärken

Der Bundeskanzler begann seine Regierungserklärung mit einem Dank an die Staats- und Regierungschefs der USA, Israels, Ägyptens, Katars und der Türkei, die in Kairo den Waffenstillstandsprozess für Gaza in Gang gebracht haben. Es habe sich gezeigt: „Politisches Handeln macht den Unterschied in dieser Welt“.

Eine Lehre daraus sei, dass Europa „seine Möglichkeiten entschlossener und geschlossener nutzen“ müsse, um die Welt zum Besseren zu gestalten, erklärte Merz: „Eine Friedensmacht zu sein in der Welt, das ist und bleibt die Grundidee der Europäischen Union.“

„Frieden nur mit Stärke“

Frieden gelinge aber nur, wo er unterlegt sei mit Stärke. Aufgabe Deutschlands sei es dabei, Führungsverantwortung in Europa zu übernehmen. Europa könne nur stark sein, wenn das große Land in seiner Mitte stark ist.

Neben militärischer hatte Merz dabei auch wirtschaftliche Stärke im Blick. Um nicht im globalen Wettbewerb zurückzufallen, brauche es grundlegende Änderungen, sagte der Bundeskanzler und nannte als Stichworte: „Schluss mit der Regulierungswut, schnellere Verfahren, offene Märkte, mehr Innovation, mehr Wettbewerb.“ Vorschläge dazu lägen auf dem Tisch, und er werde sich in Brüssel dafür einsetzen, dass sie schnell umgesetzt werden.

AfD: Deutschland und Europa fallen international zurück

Für die AfD-Fraktionsvorsitzende Dr. Alice Weidel hat die Unterzeichnung des Gaza-Abkommens in Ägypten gezeigt, „wie sehr der Einfluss Deutschlands gelitten hat“. Um das zu kaschieren, habe Merz „wieder mal mit der Brieftasche des deutschen Steuerzahlers gewedelt“. Er wolle einen dreistelligen Millionenbetrag „für einen vagen Wiederaufbau verschleudern“.

Weidel malte das Bild eines Deutschland auf „wirtschaftlicher Talfahrt“. Aktuelle Konjunkturdaten seien „Vorboten des Zusammenbruchs“. „Unerhört“ sei es deshalb, dass die Bundesregierung „immer noch den Zahlmeister der Welt mit den dicksten Spendierhosen“ spiele.

Dass Deutschland und Europa „im internationalen Vergleich immer mehr zurückfallen“, habe selbst verschuldete Ursachen, nämlich „Masseneinwanderung statt restriktiver Migrationspolitik“, „ökosozialistische Planwirtschaft statt marktwirtschaftlicher Ordnungspolitik“ sowie „Bürokratismus, Kontrollwut und Beschneidung von Bürgerrechten statt Freiheit und Achtung von Rechtsstaatlichkeit“. Weidel forderte, nach polnischem Vorbild aus dem europäischen Migrationsabkommen auszusteigen.

Rückendeckung für Merz von der SPD

Ein Plädoyer für mehr europäische Zusammenarbeit hielt dagegen der SPD-Fraktionsvorsitzende Dr. Matthias Miersch. Die Bundesrepublik „wäre ohne Europa nichts“, erklärte er. An den Bundeskanzler richtete Miersch die Erwartung, dass er sich in Brüssel „mit aller Macht“ für den Zollvorschlag der EU-Kommission zum Schutz der Stahlindustrie einsetzt. Außerdem solle er beim EU-Rat die Themen Industriestrompreis und „Buy European“, also den Vorrang europäischer Anbieter bei Beschaffungen, ansprechen.

Nachdrücklich unterstützte Siemtje Möller (SPD) das Bemühen von Merz, eingefrorene russische Vermögen der Ukraine zukommen zu lassen. „Wer Krieg führt, muss auch für die Folgen zahlen“, forderte Möller.

Grüne: Merz hat den Laden nicht im Griff

Auch die Fraktionsvorsitzende von Bündnis 90/Die Grünen, Katharina Dröge, unterstützte den Kanzler in dieser Frage. Angesichts von Differenzen in der Koalition, zuletzt in Fragen des Wehrdienstes und der Rente, stellte sie allerdings fest, Merz reise nach Brüssel „als Kanzler, der den Laden nicht im Griff hat“.

Hart kritisierte Dröge die Klimapolitik des Kanzlers. Mehr heimische erneuerbare Energie bedeute mehr Sicherheit, Merz aber setze wieder auf importierte fossile Energie. Die Stahlindustrie habe viel in grünen Stahl und die Autoindustrie in die Elektrifizierung investiert. Diese Unternehmen lasse Merz nun „im Regen stehen“.

CDU/CSU wehrt sich gegen Kritik

Die Kritik am Zustand der Koalition wies der Vorsitzende der CDU/CSU-Fraktion, Jens Spahn, entschieden zurück. „Wir haben noch bei jeder Abstimmung die notwendige Mehrheit gehabt“, hielt er entgegen, und so werde man auch das Wehrdienstgesetz „zur Entscheidung führen“.

Hart ging Spahn mit AfD und Linken ins Gericht. Die AfD wolle ein „schwaches Deutschland, das unter Putins Einfluss fällt“. Und Die Linke „sollte sich schämen“ für diejenigen in ihren Reihen, die auf Demonstrationen die Hamas unterstützten.

Linke: Aufrüstungspaket der EU stoppen

Gegen Bestrebungen der EU-Kommission, Mittel für die Infrastruktur zu kürzen und dafür „mehr für Rüstung“ auszugeben, wandte sich der Vorsitzende der Fraktion Die Linke, Sören Pellmann. Zunehmende Wohnungslosigkeit und Obdachlosigkeit, „das ist der Skandal in Europa“, empörte sich Pellmann.

„Heuchelei und Täuschung der Ukraine“ sei es, dass die EU dem Land eine Mitgliedschaft in Aussicht stellt. „Leere Versprechen helfen der Ukraine nicht weiter“, erklärte Pellmann. Die EU solle Friedensinitiativen wie die des kasachischen Staatspräsidenten Tokajew unterstützen und ihr „Aufrüstungspaket stoppen“, forderte Pellmann.

Entschließungsantrag der Grünen abgelehnt

Ein zur Regierungserklärung vorgelegter Entschließungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen (21/2255) wurde mit den Stimmen von CDU/CSU, SPD und AfD gegen die Stimmen der Grünen bei Enthaltung der Fraktion Die Linke abgelehnt. 

Darin hatten die Abgeordneten gefordert, dass die Bundesregierung sich beim Europäischen Rat sowie in der nächsten Sitzung des Umweltministerrats mit einem klaren Mandat für den Vorschlag der EU-Kommission für ein EU-Klimaziel von mindestens 90 Prozent Emissionsreduktion bis 2040 einsetzen soll.

Europäischer Rat am 23. und 24. Oktober

In Brüssel treffen sich die Staats- und Regierungschefs der EU-Mitgliedstaaten sowie der Präsident des Europäischen Rates und die Präsidentin der EU-Kommission. Dabei wird Russlands Angriffskrieg gegen die Ukraine sowie die Unterstützung der Ukraine und ihrer Bevölkerung durch die EU eine Rolle spielen. 

Der Europäische Rat wird sich auch mit den jüngsten Entwicklungen im Nahen Osten befassen. Weitere Themen sind einer vorläufigen Tagesordnung zufolge die europäische Verteidigung und Sicherheit, die Wettbewerbsfähigkeit der EU sowie die Migration. (pst/hau/16.10.2025)