Opposition fordert rasche Reform der Notfallversorgung
Die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat einen Gesetzentwurf „zur Reform der Notfallversorgung und des Rettungsdienstes“ (21/2214) vorgelegt, den der Bundestag am Donnerstag, 16. Oktober 2025, erstmals beraten hat. Im Anschluss an die einstündige Aussprache wurde der Gesetzentwurf zur weiteren Beratung an den federführenden Gesundheitsausschuss überwiesen. Von der Tagesordnung abgesetzt wurde die Beratung eines weiteren avisierten Antrags der Fraktion mit dem Titel „Sofortmaßnahmen für eine gerechte und stabile Finanzierung von Kranken- und Pflegeversicherung“.
Die Opposition wirft der Bundesregierung eine Vernachlässigung der Notfallversorgung vor und fordert ein sofortiges Umsteuern. Abgeordnete der Grünen, AfD und Linken wiesen in der Debatte auf die Dringlichkeit hin. Viele Notaufnahmen seien völlig überfüllt, die Wartezeiten extrem lang und das Personal auch im Rettungsdienst oft überfordert. Redner der Koalitionsfraktionen räumten die Probleme ein, verwiesen jedoch auf eine geplante gesetzliche Änderung, die in absehbarer Zeit vorgelegt werden solle.
Grüne: Wir stehen an einem Wendepunkt
Dr. Janosch Dahmen (Bündnis 90/Die Grünen), der selbst Notfallmediziner ist, warnte: „Wir stehen an einem Wendepunkt.“ Millionen von Menschen müssten sich darauf verlassen können, im Notfall schnell und richtig versorgt zu werden. „Was wir heute erleben, ist Chaos statt Planung, Überforderung statt Hilfe, endlose Warteschleifen, volle Wartezimmer, ein Flickenteppich statt verlässlicher Strukturen.“
Dahmen fügte hinzu: „Die Notfallversorgung in Deutschland ist ein Brennglas für die Systemkrise, fehlende Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen.“ Wenn die Notfallversorgung nicht mehr richtig funktioniere, gehe mehr als nur Vertrauen verloren. Er habe als Notfallmediziner selbst erlebt, wie unzureichend die Versorgung sei, wenn Menschen plötzlich in Not gerieten, etwa Mütter mit fiebernden Kindern am Wochenende oder Senioren bei einem Unfall.
„Reform seit Jahren überfällig“
Es handele sich dabei nicht um Einzelfälle, betonte Dahmen und sprach von einer „dysfunktionalen Notfallversorgung“ und einem Rettungsdienst, der auf dem Reserverad laufe. Eine Reform sei seit Jahren überfällig. Es liege aus der vergangenen Legislatur schon ein fertiger Gesetzentwurf vor, der von Fachleuten für gut befunden sei. Gleichwohl sei die Bundesregierung bisher untätig geblieben, obgleich es keinen Streit über das Ziel der Reform gebe.
Der Grünen-Vorschlag sei ähnlich dem alten Entwurf, aber verbessert. Dahmen mahnte, eine schlüssige Reform könne nicht nur Leben retten, sondern auch viel Geld sparen. So würden die möglichen Einsparungen auf rund fünf Milliarden Euro pro Jahr geschätzt durch eine bessere Patientensteuerung und weniger vermeidbare Klinikaufenthalte. Er forderte: „Es ist Zeit, jetzt zu handeln.“
AfD: Die Regierung ignoriert die Katastrophe
Dr. Christina Baum (AfD) ging vor allem mit der Union scharf ins Gericht, die mehr an Ideologie interessiert sei als an Gesundheit und Sicherheit. Während der Rettungsdienst vor dem Kollaps stehe, mache die Union einfach weiter wie immer. „Unser einst gut funktionierendes System zerbricht vor unseren Augen, und diese Regierung ignoriert die Katastrophe.“
Die Einsätze des Rettungsdienstes seien in den vergangenen Jahren stark gestiegen. So seien allein 2023 mehr als 7,8 Millionen Rettungsdienst- und Notarzteinsätze registriert worden. Auch für 2025 würden Rekordzahlen erwartet, wobei es zu Tausenden unnötigen Alarmen komme. Oft steckten hinter den Notrufen gar keine Notfälle. Das hänge auch mit dem verbreiteten Unwissen der Bürger über die Organisation der Notfallversorgung zusammen.
Baum betonte, das Rettungspersonal stehe unter einem ständig steigenden Druck und müsse zusätzlich zur normalen Arbeitsbelastung auch noch Gewalt ertragen. In manchen Notaufnahmen sei die Gewalt schon eskaliert. So würden Menschen, die das Leben anderer Menschen retten sollen, selbst Opfer. Sie fügte hinzu, die Überlastung des Rettungsdienstes werde zur Bedrohung. Viele Fachkräfte verließen in der Folge ihren Beruf schon nach wenigen Jahren. Baum schlussfolgerte: „Eine grundlegende Reform ist überfällig.“
Linke: Missstände sind überdeutlich
Ähnlich wie die Redner von Grünen und AfD äußerte sich auch Jan Köstering von der Linksfraktion, der den Grünen für die Gesetzesinitiative dankte. Eine Reform sei überfällig, denn die Missstände seien überdeutlich.
Das Personal in der Notfallversorgung und im Rettungsdienst sei angesichts der Fülle an Aufgaben und Notfällen überfordert. Er machte die gewinnorientierte Gesundheitswirtschaft für die Probleme mitverantwortlich. Zugleich kritisierte er einen Mangel an belastbaren Daten über Kosten, Aufnahmequoten oder Patientenkontakte. Auf diese Weise würden im Blindflug die Patienten gefährdet.
Köstering forderte eine bedarfsgerechte Finanzierung der Notfallversorgung und gute Arbeitsbedingungen für das Personal. Er warnte davor, Reformen nur unter wirtschaftlichen Aspekten zu planen, es gehe am Ende um patientenorientierte Lösungen. Profitgetriebene Ansätze brächten hingegen keine Verbesserung. Jede zusätzliche Belastung könne das System schneller zum Kollaps bringen.
CDU/CSU: Ziel ist eine bestmögliche Vermittlung
Prof. Dr. med. Hans Theiss (CDU/CSU) versicherte, dass eine Reform der Notfallversorgung und des Rettungsdienstes bereits in Arbeit sei. Eine gute Notfallversorgung sei ein wichtiges Element im Gesundheitswesen. Daher sei es ein Grundanliegen, die Notfallversorgung noch besser, effektiver und verlässlicher zu machen.
Ein Ziel sei die bestmögliche Vermittlung über einen telefonischen Erstkontakt durch eine Verknüpfung der Notfallrufnummern. Die Patienten müssten dahin vermittelt werden, wo sie am besten versorgt werden könnten. Auch Theiss betonte, dass manche Patienten womöglich gar keinen Arztkontakt benötigen.
Theiss räumte ein, dass der Rettungsdienst hoffnungslos überlastet sei und eine Reform gebraucht werde. Dabei müssten auch in Abstimmung mit den Ländern Vergütungsfragen geklärt werden. Die Bundesregierung werde zeitnah einen Reformgesetzentwurf einbringen. Den Grünen warf Theiss „billige Effekthascherei“ und Polemik vor. Der Gesetzentwurf sei „alter Ampelwein in neuen Schläuchen“. Es sei im Übrigen unredlich, der Koalition Arbeitsverweigerung auf Kosten der Patienten vorzuwerfen.
SPD: Ziel ist eine Reform aus einem Guss
Dr. Tanja Machalet (SPD) ging darauf ein, dass eine gute Notfallversorgung je nach Lage passgenaue Lösungen anbieten müsse. Die jetzige Überlastungssituation im System zeige, weshalb eine Notfallreform dringend auf den Weg gebracht werden müsse. Sie erinnerte daran, dass schon seit zehn Jahren über Änderungen diskutiert werde und diese somit überfällig seien.
Dabei gebe es weitgehend einen Konsens in der Zielsetzung. Es seien noch Abstimmungen mit den Ländern nötig, das Ziel sei „eine Reform aus einem Guss“. Machalet betonte: „Wir brauchen ein klar strukturiertes Notfallsystem.“ Wichtig sei zudem mehr Erste-Hilfe-Kompetenz.
Gesetzentwurf der Grünen
Die Grünen-Fraktion legt Vorschläge für eine Reform der Notfallversorgung und des Rettungsdienstes vor. Eine gut funktionierende und wirtschaftliche Notfall- und Akutversorgung sei ein zentraler Pfeiler einer leistungsfähigen Gesundheitsversorgung. Für Menschen in akuten medizinischen Notlagen sei es entscheidend, jederzeit unmittelbar Hilfe zu erhalten und dabei auf eine qualitativ hochwertige Versorgung vertrauen zu können, heißt es in dem Gesetzentwurf.
Die drei Versorgungsbereiche vertragsärztlicher Notdienst, Notaufnahmen der Krankenhäuser und Rettungsdienste seien bislang sektoral getrennt und unzureichend aufeinander abgestimmt. Unterschiedliche gesetzliche Rahmenbedingungen, Finanzierungs- und Ordnungsprinzipien führten zu Fehlanreizen sowie zu Über-, Unter- und Fehlversorgungen.
Effizienter, wirtschaftlicher, patientenorientierter
Die Abgeordneten fordern umfassende gesetzliche Initiativen, um die Notfallversorgung effizienter, wirtschaftlicher und patientenorientierter zu gestalten. Die bisherigen Aufgaben der Terminservicestellen im Bereich der Akutfallvermittlung soll demnach künftig eine Akutleitstelle der Kassenärztlichen Vereinigungen (KVen) übernehmen.
Durch ihre enge Vernetzung mit den Rettungsleitstellen und die digitale Fallübergabe werde eine effektivere Steuerung der Patienten ermöglicht, heißt es in dem Gesetzentwurf. Parallel dazu solle die notdienstliche Akutversorgung der KVen durch Konkretisierung des Sicherstellungsauftrages ausgebaut werden. Sie sollen dazu verpflichtet werden, eine durchgängige telemedizinische und aufsuchende Versorgung anzubieten.
Integrierte Notfallzentren
Ferner sollen Integrierte Notfallzentren als sektorenübergreifende Versorgungsstrukturen etabliert werden. Dort sollen Krankenhäuser und KVen verbindlich zusammenarbeiten, sodass stets eine bedarfsgerechte ambulante Erstversorgung gewährleistet ist. Die Zentren sollen aus der Notaufnahme eines Krankenhauses, einer Notdienstpraxis sowie einer zentralen Ersteinschätzungsstelle bestehen.
Schließlich soll die rettungsdienstliche Notfallbehandlung als eigenständiger Leistungsbereich der Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) differenzierter geregelt werden. Damit werde die Rolle des Rettungsdienstes zielgerichteter auf notwendige und fachgerechte Versorgungsangebote begrenzt. Die Abgeordneten versprechen sich durch die Reform Einsparungen von bis zu fünf Milliarden Euro jährlich. (pk/hau/16.10.2025)