Einfügung des Merkmals „sexuelle Identität“ in das Grundgesetz gefordert
Die Abgeordneten des Deutschen Bundestages haben sich am Donnerstag, 9. Oktober 2025, mit der Forderung nach einer Änderung des Grundgesetzes zur Einfügung des Merkmals „sexuelle Identität“ befasst. Einen entsprechenden Gesetzentwurf (21/2027) hatte die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen eingebracht. Die Vorlage wurde im Anschluss an die Aussprache zur weiteren Beratung an die Ausschüsse überwiesen. Die Federführung liegt beim Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz.
Grüne: Fortschritte in der Verfassung spiegeln
Der Schutz queerer Menschen gehöre ins Grundgesetz, sagte Nyke Slawik (Bündnis 90/Die Grünen) zu Beginn der Debatte und verwies darauf, dass der Bundesrat einen wortgleichen Gesetzentwurf vor zwei Wochen beschlossen habe. Die Mütter und Väter des Grundgesetzes hätten seinerzeit die queeren Menschen, die zu Hunderttausenden im Nationalsozialismus entrechtet, verfolgt, inhaftiert und ermordet wurden, vergessen, sagte Slawik. Zugleich räumte sie ein, dass der Bundestag in den letzten Jahren viele Gesetze erlassen habe, die die Lebenssituation von LSBTIQ-Personen verbessert hätten. „Diese Fortschritte spiegeln sich bis heute aber nicht in unserer Verfassung wider“, bemängelte sie.
Dass es hier nicht um eine parteipolitische Debatte gehe, „sondern um Haltung für Demokratie und um Menschlichkeit“, habe der Bundesrat parteiübergreifend erkannt. Es brauche nun ein Bekenntnis der Regierungsfraktionen zu dem Gesetzentwurf. „Es ist der Gesetzentwurf ihrer Ministerpräsidentinnen und Ministerpräsidenten“, sagte sie an Union und SPD gewandt.
Union: Es wird wiederholt, was längst gilt
Dr. Martin Plum (CDU/CSU) vertrat die Auffassung, dass mit Artikel 1 Grundgesetz, wo es heißt „Die Würde des Menschen ist unantastbar“, ausdrücklich klargestellt werde, dass jeder Mensch wichtig ist und Achtung sowie Respekt verdient. „Dieses Versprechen ist das Fundament unseres Zusammenlebens“, sagte er. Das Grundgesetz schütze „klar und umfassend“. In Artikel 2 werde die sexuelle Selbstbestimmung geschützt, Artikel 3 verbiete schon heute Diskriminierungen wegen der sexuellen Orientierung und der geschlechtlichen Identität. Die geforderte Ergänzung ändere also nichts. „Sie wiederholt, was längst gilt“, sagte der Unionsabgeordnete und sprach von Symbolpolitik.
Wer ernsthaft das Grundgesetz ändern will, so Plum, müsse zudem das Gespräch suchen und nicht die Konfrontation. Es brauche schließlich eine breite Zweidrittelmehrheit im Bundesrat wie um Bundestag. Wer stattdessen einfach nur einen Vorschlag macht, dem gehe es um politische Effekthascherei. Für die Koalition sei klar: „Wir machen diese Inszenierung nicht mit.“
AfD: Begriff der sexuellen Identität ist zu unbestimmt
Die Grünen wollten die sexuelle Identität in den Artikel 3 des Grundgesetzes hineinschreiben, sagte Fabian Jacobi (AfD). „Was aber diese Wörter eigentlich bedeuten sollen, das sagen uns die Grünen nicht“, fügte er hinzu. Jacobi hält das für Absicht. Das sei gefährlich. Am Ende werde den Wörtern durch das Bundesverfassungsgericht eine Bedeutung „verordnet“, sagte er. Das könnten auch Bedeutungen seien, „an die der Verfassungsgesetzgeber nie gedacht hat und die er sogar rundheraus abgelehnt hätte“.
„Der Begriff der sexuellen Identität in den Händen des Bundesverfassungsgerichts wäre eine geladene und entsicherte Waffe, die auf das Herz der Realität selbst zielt“, befand Jacobi. Während der Ampel-Regierung sei zu erleben gewesen, wie die „gewollte Realitätszerstörung“ Einzug in die Gesetzgebung gehalten habe. Mit dem Selbstbestimmungsgesetz habe man, „ermuntert durch das Bundesverfassungsgericht“, die subjektive Selbstwahrnehmung einzelner Menschen „zur allgemeinverbindlichen Wirklichkeit erklärt“, sagte der AfD-Abgeordnete.
SPD fordert zum Dialog auf
Wenn im Grundgesetz steht: „Niemand darf wegen seiner sexuellen Identität benachteiligt werden“, wäre das aus Sicht von Carmen Wegge (SPD) „für ganz viele Menschen in diesem Land ein Schritt zu mehr Gerechtigkeit“. Dieser Satz könne ein Versprechen an alle jene sein, die tagtäglich dafür kämpfen, einfach sie selbst sein zu dürfen, „ohne Angst, ohne Scham und ohne Diskriminierung“. Daher unterstütze auch ihre Partei das Ziel, die sexuelle Identität im Grundgesetz zu verankern, machte die SPD-Abgeordnete deutlich.
An die Grünen gewandt sagte sie weiter: Es reiche nicht, das richtige Ziel zu haben. Man müsse auch den richtigen Weg dorthin wählen. Wer das Grundgesetz ändern will, müsse dies mit Sorgfalt, mit Gründlichkeit, mit Weitblick und auch mit der Bereitschaft tun, Mehrheiten dafür zu schaffen. Nur einen Entwurf in das parlamentarische Verfahren zu bringen, „ohne den Dialog mit den anderen demokratischen Fraktionen zu suchen“, sei kein Ausdruck von Entschlossenheit, sondern ein Schnellschuss und damit nur Symbolpolitik, urteilte Wegge.
Linke: Die Union zögert noch
Von einem Schnellschuss kann aus Sicht von Maik Brückner (Die Linke) keine Rede sein. „Die Idee ist wirklich nicht neu“, sagte er. Schon der Verfassungsentwurf des Runden Tisches der DDR habe einen Schutz vor Diskriminierung wegen der sexuellen Orientierung vorgesehen. „Das war von 35 Jahren.“ Es sei höchste Zeit, bei dem Thema endlich voranzukommen.
Brückner wandte sich an die Union. Auch deren Ministerpräsidenten hätten sich im Bundesrat für eine Ergänzung des Artikels 3 starkgemacht. „Es ist gut, wenn Sie Ihre ursprüngliche Ablehnung des Vorhabens korrigieren,“ sagte er. Bei jeder Partei sei aktuell klar, wie sie abstimmen wird. Nur die Union zögere noch. „Es hängt allein an Ihren Stimmen, ob der Bundestag einer Grundgesetzänderung zustimmt“, sagte der Linken-Abgeordnete. Die Union habe die Wahl zwischen „Flirts mit der extremen Rechten“ und einer „Stärkung des Grundgesetzes“.
Gesetzentwurf der Grünen
Konkret sieht der Entwurf vor, den Wortlaut von Artikel 3 Absatz 3 Satz 1 zu erweitern. Durch die Ergänzung der sexuellen Identität soll er laut Entwurf künftig so lauten: „Niemand darf wegen seines Geschlechtes, seiner sexuellen Identität, seiner Abstammung, seiner Rasse, seiner Sprache, seiner Heimat und Herkunft, seines Glaubens, seiner religiösen oder politischen Anschauungen benachteiligt oder bevorzugt werden.“
Zur Begründung führt die Fraktion an, dass Lesben, Schwule, Bisexuelle sowie trans-, intergeschlechtliche und queere Menschen (LSBTIQ) „in unserer Gesellschaft immer noch Benachteiligungen, Anfeindungen und gewaltsamen Übergriffen aufgrund ihrer sexuellen Identität ausgesetzt“ seien. Dazu verweisen die Grünen auf die Statistik zu politisch motivierter Kriminalität, die im Jahr 2023 einen deutlichen Zuwachs von Delikten zur „sexuellen Orientierung“ und zur „geschlechterbezogenen Diversität“ verzeichnet habe.
Auch seien die Beratungsanfragen an die Antidiskriminierungsstelle des Bundes gestiegen. „Zusammengefasst machen Diskriminierungserfahrungen aufgrund der geschlechtlichen und sexuellen Identität die zweitgrößte von Diskriminierungen strukturell betroffene Gruppe aus“, heißt es weiter.
Verbesserte Lebenssituation von LSBTIQ
Wie die Grünen anführen, habe sich zugleich ein Teil der Lebenssituation von LSBTIQ durch einfachgesetzliche Diskriminierungsverbote und eine fortschreitende rechtliche Gleichstellung in den vergangenen beiden Jahrzehnten deutlich verbessert. „In diesem Spannungsfeld zwischen einfachgesetzlichem Fortschritt und verfassungsrechtlicher Diskordanz schafft erst ein ausdrücklich im Grundgesetz normiertes Verbot der Diskriminierung aufgrund der sexuellen Identität eine stabile und vor menschenfeindlicher Tendenz geschützte Maßgabe für die einfache Gesetzgebung dahingehend, dass derartige Diskriminierungen in einer freiheitlich demokratischen Grundordnung nur unter schwerwiegenden und zwingenden Gründen gerechtfertigt werden können“, begründet die Fraktionen ihren Vorstoß für die Änderung im Grundgesetz.
Die Grünen verweisen zudem darauf, dass der Bundesrat in seiner Sitzung am 26. September 2025 einen gleichlautenden Gesetzentwurf zur Einbringung in den Bundestag beschlossen hatte.(hau/scr/09.10.2025)