Zeit:
Mittwoch, 15. Oktober 2025,
14.30
bis 16.30 Uhr
Ort: Berlin, Paul-Löbe-Haus, Sitzungssaal 2 600
Auf die Unterstützung der Sachverständigen traf ein Gesetzentwurf der Bundesregierung zur Entwicklung und Erprobung eines Online-Verfahrens in der Zivilgerichtsbarkeit in einer öffentlichen Anhörung des Ausschusses für Recht und Verbraucherschutz am Mittwoch, 15. Oktober 2025.
Die Vertreter aus Theorie und Praxis begrüßten den Entwurf der schwarz-roten Koalition als wichtigen Baustein für eine moderne Ziviljustiz, sahen aber auch noch offene Fragen und plädierten für eine frühere Evaluation. Fragen der Abgeordneten betrafen unter anderem Hemmnisse der Digitalisierung, das richterliche Ermessen bei der Verfahrenswahl, mögliche Risiken, die Ausgestaltung der Kommunikationsplattform und die Abstufung der Gerichtsgebühren.
Gesetzentwurf der Bundesregierung
Laut Entwurf (21/1509) ist die weitere Digitalisierung der Justiz eine wesentliche Voraussetzung für einen zukunftsfähigen und bürgernahen Rechtsstaat. Der Einsatz moderner Technologien könne Verfahren beschleunigen, den Zugang zur Justiz erleichtern und die Effizienz der Rechtsprechung steigern. Das zivilgerichtliche Online-Verfahren solle daher Bürgerinnen und Bürgern ermöglichen, ihre Ansprüche im Bereich niedriger Streitwerte in einem einfachen, nutzerfreundlichen, barrierefreien und digital unterstützten Gerichtsverfahren geltend zu machen.
Ziel sei eine einfache und moderne Verfahrenskommunikation durch eine bundeseinheitliche Bereitstellung von digitalen Eingabesystemen und Plattformlösungen. Mit der digitalen Einreichung von Klagen werde das Online-Verfahren an Pilot-Gerichten als neue Verfahrensart in der Zivilgerichtsbarkeit eröffnet.
Verfahren werden beschleunigt, Zugang wird erleichtert
Gudrun Schäpers, Präsidentin des Oberlandesgerichts Hamm, des größten Oberlandesgerichtsbezirks Deutschlands, erklärte in ihrer Stellungnahme, der Entwurf sei ein Meilenstein auf dem Weg zum Zivilprozess der Zukunft. In den vergangenen Jahren hätten viele Akteure aus den Bereichen Rechtspolitik, Anwaltschaft, Wissenschaft, Justizverwaltung und aus der Justiz auf die große Wichtigkeit von Reformen hingewiesen. Der Zugang zum Recht müsse für alle möglich sein und auch so wahrgenommen werden. Sie halte auch den Fokus der Pilotierung unter anderem auf Massenverfahren für richtig, so Schäpers, die auf Vorschlag der Fraktion der CDU/CSU zur öffentlichen Anhörung eingeladen wurde.
Gerade bei der Bewältigung von Massenverfahren und anderen eher standardisierbar zu bearbeitenden Verfahren könnten moderne Technologien Verfahren beschleunigen, den Zugang zur Justiz für Bürgerinnen und Bürger zu erleichtern und die Effizienz der Rechtsprechung zu steigern. Sie sei optimistisch, dass die Einführung des Online-Verfahrens dazu führen wird, dass mehr Bürgerinnen und Bürger auch geringfügigere Forderungen vor den Gerichten geltend machen werden und dadurch auch das Vertrauen in den Rechtsstaat gestärkt wird.
Prof. Dr. Bettina Mielke, Präsidentin des Landgerichts Ingolstadt, die ebenfalls von der Unionsfraktion benannt wurde, erklärte, wenn auch derzeit offen erscheine, in welchem Ausmaß von dem Online-Verfahren Gebrauch gemacht werden wird, seien vor allem verschiedene Bestandteile des neuen Gesetzes als wichtige Schritte auf dem Weg zur Zukunft des Zivilprozesses anzusehen. Zu nennen seien hier vor allem die Schaffung einer Kommunikationsplattform und die digitale Strukturierung des Prozessstoffs.
Gerade die Verzahnung des Ansatzes, für die Rechtssuchenden einen einfacheren Zugang zur Justiz zu schaffen, mit dem Anliegen, etwa in Massenverfahren letztlich zu einer schnelleren Erledigung der Verfahren beizutragen, erscheine sinnvoll und zielführend im Hinblick auf die Gestaltung eines modernen Zivilprozesses. Neben der offenen Frage der Akzeptanz des Verfahrens gäbe es konzeptuelle Herausforderungen, so Mielke in ihrer Stellungnahme. Es gelte hier abzuwägen, wie man die Rechtssuchenden bei der Geltendmachung ihrer Rechte unterstützt, aber gleichzeitig nicht leichtsinnig in ein Verfahren treibt. Zudem bleibe abzuwarten, wie sich das Online-Verfahren als Konkurrenz zu Legal-Tech-Angeboten entwickelt.
Angebote müssen nutzerfreundlich sein
Prof. Dr. Giesela Rühl von der juristischen Fakultät der Humboldt-Universität zu Berlin begrüßte den Entwurf in seiner grundsätzlichen Stoßrichtung uneingeschränkt. Die Entwicklung eines Online-Verfahrens sei ebenso wie die Entwicklung einer digitalen Kommunikationsplattform geeignet, den Zivilprozess an die Erwartungen einer zunehmend digitalisierten Gesellschaft anzupassen, den Zugang zur Justiz zu verbessern und die Effizienz der Gerichte zu steigern. Trotzdem gebe es Verbesserungsmöglichkeiten. So sollte der Anwendungsbereich des Online-Verfahrens auf alle zivilgerichtlichen Streitigkeiten ausgedehnt werden. Zumindest sollte den Ländern gestattet werden, eine breitere Anwendung zu erproben.
Weiterhin sollte das Online-Verfahren niedrigschwelliger zugänglich sein. Rühl sprach sich in ihrer Stellungnahme dafür aus, die Evaluationszyklen zu verkürzen, damit Online-Verfahren und Kommunikationsplattformen früher zur Verfügung stehen. Der tatsächliche Erfolg des Online-Verfahrens und der Kommunikationsplattform werde davon abhängen, so die ebenfalls von der CDU/CSU benannte Professorin, wie nutzerfreundlich die Angebote am Ende des Tages sind.
„Fluggastrechteverfahren ausdrücklich nennen“
Dr. Dirk Behrendt, Richter am Amtsgericht Neukölln und Mitglied des Bundesvorstands der Neuen Richter*Innenvereinigung (NRV), begrüßte in seiner Stellungnahme die vorgesehene Erprobung eines Online-Verfahrens in der Zivilgerichtsbarkeit als Erweiterung vom dokumentengestützten Verfahren hin zum datengestützten Verfahren. Behrendt zufolge sollte der Entwurf mehr geeignete Verfahren nennen und sich nicht darauf beschränken, Fluggastrechteverfahren für das einzuführende Online-Verfahren ausdrücklich zu nennen.
Bei Terminen zur Güteverhandlung oder zur mündlichen Verhandlung sollte es zumindest für Fälle, die für eine mündliche Verhandlung mit digitalen Mitteln ungeeignet sind oder ein Verfahrensbeteiligter diese nicht oder nur schwer zur Verfügung hat, beim Regelfall der mündlichen Verhandlungen in Präsenz bleiben. Die geplante Zeugenvernehmung per Telefon erscheint Behrendt zufolge im Hinblick auf die weiter Verbreitung videografischer Systeme in den Zivilgerichten überholt. Die Kostenreduzierung für Online-Verfahren auf zwei Gerichtsgebühren sei für die Erprobungszeit in Ordnung.
Einbindung der rechtsberatenden Berufe
Behrendt war wie die Vizepräsidentin der Bundesrechtsanwaltskammer, Sabine Fuhrmann, von der SPD-Fraktion für die Anhörung benannt worden. Fuhrmann betonte in ihrer Stellungnahme, angesichts des weiterhin fortbestehenden Defizits im Bereich der justizbezogenen Digitalisierung sei die Entwicklung und Erprobung nachhaltiger digitaler Kommunikationswege zwischen Bürgerinnen und Bürgern und Justiz dringend erforderlich. Die fortschreitende Digitalisierung gerichtlicher Verfahren dürfe dabei nicht als bloßes technisches Modernisierungsprojekt verstanden werden.
Ziel müsse es sein, den klassischen Zivilprozess digital derart abzubilden, dass dessen Grundsätze in gleicher Weise wie im bisher rein analogen Verfahren beachtet werden. Sie sehe noch erheblichen Nachbesserungsbedarf.Entscheidend für die Akzeptanz des geplanten Online-Verfahrens werde sein, ob das neue Format von den Rechtsuchenden angenommen und tatsächlich genutzt wird. Wichtig sei daher die Einbindung der rechtsberatenden Berufe. Nur wenn es mit den berufsrechtlichen Anforderungen, den technischen Standards und den Arbeitsrealitäten der Anwaltschaft kompatibel sind, lasse sich ein funktionierender digitaler Rechtsverkehr etablieren.
Nutzerperspektive frühzeitig einbeziehen
Auch Markus Hartung, Rechtsanwalt und Mediator, der für den Legal Tech Verband Deutschland und auf Vorschlag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen an der Anhörung teilnahm, bewertete den Gesetzentwurf positiv. Er markiere einen zentralen Schritt auf dem Weg zu einer modernen, digitalisierten und bürgernahen Justiz, erklärte er in seiner Stellungnahme. Das Projekt habe das Potenzial, die Funktionsweise der Justiz tatsächlich zu verändern und sei nicht nur ein technisches, sondern auch ein kulturelles Reformvorhaben.
Für den Erfolg des Vorhabens sei entscheidend, dass die Umsetzung bundeseinheitlich gesteuert wird, dass der Evaluationszeitraum verkürzt wird, dass die Nutzerperspektive und Datenschutz frühzeitig einbezogen werden, und dass technische und rechtliche Aspekte integriert gedacht werden. Digitalisierung dürfe nicht in der Technik enden, so Hartung. Sie sei eine Frage von Vertrauen, Transparenz und Rechtsstaatlichkeit. Der Regierungsentwurf sollte jetzt mit Mut, Tempo und Nutzerfokus umgesetzt werden.
Digitalisierung der Justiz begrüßt
Elvira Iannone vom Bundesverband der Dolmetscher und Übersetzer (BDÜ) ging in ihrer Stellungnahme auf Aspekte ein, die die Berufsausübung von Übersetzerinnen, Übersetzern, Dolmetscherinnen und Dolmetschern betreffen. Der Verband begrüße die Bestrebungen zur Digitalisierung der Justiz und damit auch die zu erwartenden Effizienzsteigerungen in der Kommunikation und der Verwaltung von Verfahren sehr – unter der Bedingung, dass auch Verfahren unter Einbeziehung von Übersetzerinnen, Übersetzern, Dolmetscherinnen und Dolmetschern für Laut- und Gebärdensprachen erprobt und evaluiert werden, erklärte Iannone, die von der Fraktion Die Linke für die Anhörung benannt wurde.
Dazu sei es wesentlich, dass Abläufe, Strukturen und auch Zuständigkeiten für einzelne Prozessschritte neu gedacht werden. Für den Verband sei es von herausragender Bedeutung, dass anschließend eine einzige Kommunikationsplattform eingeführt und tatsächlich auch in allen Bundesländern zur Anwendung kommt.
Erprobungsgesetzgebung soll Freiräume schaffen
Wie es im Entwurf des Gesetzes weiter heißt es, besteht bei der Umsetzung eines Online-Verfahrens die Herausforderung, dass die technische Landschaft der Justiz mit ihren föderalen Strukturen heterogene Anforderungen mit sich bringt. Daher sollen zunächst durch eine Erprobungsgesetzgebung Freiräume geschaffen werden, um in einem begrenzten Anwendungsbereich bundeseinheitlich und zeitlich befristet neue Verfahrensabläufe und moderne Technologien zu erproben und so die fortschreitende Modernisierung des Zivilprozesses zu unterstützen. Die neuen digitalen Kommunikationsformen mit der Justiz im Online-Verfahren sollen außerdem auf Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte erstreckt werden, wobei die bestehende Infrastruktur zum besonderen elektronischen Anwaltspostfach genutzt werden soll.
Die Erprobung erstreckt sich laut Entwurf unter anderem auf die Erfassung von bürgerlichen Rechtsstreitigkeiten vor den Amtsgerichten, die auf Zahlung einer Geldsumme gerichtet sind, auf die Schaffung gesetzlicher Rahmenbedingungen für die Nutzung digitaler Eingabesysteme bei einer Klageerhebung und der weiteren Kommunikation im Zivilprozess und auf die Öffnung der Zivilprozessordnung für eine verstärkte Nutzung digitaler Kommunikationstechnik, insbesondere durch eine Ausweitung von Verfahren ohne mündliche Verhandlung und von Videoverhandlungen.
Stellungnahme des Bundesrates
Der Bundesrat hatte in seiner Stellungnahme zum Entwurf die Streichung des Artikels 24 gefordert, der die Einführung zweier gesonderter Gebührentatbestände für das Online-Verfahren vorsieht. Der hiermit verfolgte Zweck der Gewinnung einer größeren Anzahl von Gerichtsverfahren in der Erprobungsphase ist laut Bundesrat nachvollziehbar und die geringeren Gerichtsgebühren aus Sicht der Rechtsuchenden wünschenswert. Die Parteien würden allerdings bereits durch die Möglichkeit, ihr Gerichtsverfahren digital zu führen, gegenüber dem Regelverfahren entlastet. Für die Gerichte hingegen bringe die Einführung des zu erprobenden Online-Verfahrens im Zweifel eine gesteigerte Belastung mit sich, sodass eine Gebührenermäßigung nicht angezeigt sei.
Die Bundesregierung erklärt in ihrer Gegenäußerung, sie werde den Vorschlag des Bundesrates prüfen. Sie halte das Anliegen der Länder für nachvollziehbar, gebe aber zu bedenken, dass Mindereinnahmen in den Justizhaushalten der Länder durch die Gebührenreduzierung gegenüber der Regelgebühr nicht in größerem Umfang zu erwarten sind. Die Reduzierung beschränke sich ausschließlich auf die an der Erprobung teilnehmenden Gerichte und dort auf die Verfahren, die als Online-Verfahren geführt werden. (mwo/15.10.2025)