Zukunft der Europäischen Sicherheits- und Verteidigungspolitik
Nur gemeinsam und in größtmöglicher Unabhängigkeit kann eine bessere europäische Sicherheits- und Verteidigungspolitik gelingen. Das war das Credo aus Expertensicht in der Veranstaltungsreihe „Forum W“ des Deutschen Bundestages zum Thema „Sicherheit 'Made in Europe': die Zukunft der Europäischen Sicherheits- und Verteidigungspolitik“ am Dienstag, 8. Juli 2025.
Im Mittelpunkt der von Dr. Silke Albin, Leiterin der Abteilung Außenbeziehungen, Europa und Analyse beim Deutschen Bundestag, geleiteten Diskussion standen grundlegende sicherheits- und verteidigungspolitische Weichenstellungen, die durch die EU-Initiative „Readiness 2030“ und dem „ReArm Europe Plan“ vorgenommen werden sollen. Die Initiative skizziert als Weißbuch das strategische Ziel einer europäischen Verteidigungsunion. „ReArm Europe“ zielt auf die Finanzierung erhöhter Verteidigungsausgaben in Höhe von bis zu 800 Milliarden Euro ab.
„Sandwich-Rolle“ zwischen Russland und USA
Prof. Dr. phil. Herfried Münkler, Prof. em. am Institut für Sozialwissenschaften der Humboldt-Universität zu Berlin, sprach in seinem Eingangsstatement davon, dass sich Europa in einer „Sandwich-Rolle“ zwischen Russland und den USA befinde, was auf Dauer sehr unkomfortabel sei.
In der regelbasierten Weltordnung hätten lange Zeit die USA – und nicht wie viele denken würden die Vereinten Nationen – eine „Hüterrolle“ innegehabt. Durch die “America First”-Politik von US-Präsident Donald Trump sei diese aktuell jedoch nicht mehr vorhanden. Stattdessen gebe es eine Wiederkehr von „imperialen Akteuren“ wie Wladimir Putins Russland oder dem China von Xi Jinping. Die „Europäer sind weitgehend auf sich allein gestellt“, sagte Münkler. Daher müsse sich Europa die Frage stellen, ob es in einer multipolaren Welt ein Akteur sein wolle oder nicht.
EU-Verteidigung und nationale Souveränität
Dr. Carolyn Moser, Forschungsgruppenleiterin am Max-Planck-Institut für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht, sagte, dass Europa zu lange damit beschäftigt gewesen sei, „Frieden zu managen“ und ergänzte: „Wir sind zurück bei der Territorialpolitik.“ Sie forderte eine bessere Kooperation der europäischen Parlamentarier.
Des Weiteren müsse die strategische und operative Autonomie der EU besser gefördert werden. Durch die gemeinsame Arbeit seien auch die einzelnen Nationalstaaten besser geschützt: „EU-Verteidigung ist keine Bedrohung für nationale Souveränität, sondern ermöglicht diese“, so Moser.
„Die große Wende war Trump“
Aus Sicht von Dr. Benedikta von Seherr-Thoß, Leitende Direktorin für GSVP und Krisenreaktion im Generalsekretariat des Europäischen Auswärtigen Dienstes, war es die Politik von US-Präsident Trump, die zu einem Umdenken in der Sicherheits- und Verteidigungspolitik in Europa geführt hat: „Die große Wende war nicht der Krieg in der Ukraine, die große Wende war Trump.“ Diese Einschätzung teilten die beiden Gastredner Münkler und Moser.
Seherr-Thoß empfahl, dass sich Europa in Zukunft die Frage stellen solle, was es brauche, welche Projekte existierten und wo weitere benötigt würden. Die 27-Mitgliedstaaten der EU, von denen 22 Staaten auch Nato-Mitglieder sind, müssten besser zusammenarbeiten und dafür alle möglichen EU-Instrumente ausschöpfen. Dazu gehöre auch die Rohstoffversorgung. Dennoch sei es positiv, dass die EU der bisher größte Unterstützer der Ukraine sei. Sie müsse weiter in deren militärische Ausbildung sowie in die Rüstungsindustrie investieren.
Sicherheit und Verteidigung in der EU
Alle Diskutanten waren sich darin einig, dass Europa nur gemeinsam für eine bessere Sicherheits- und Verteidigungspolitik einstehen könne. Dazu gehöre auch die Einbeziehung von Großbritannien. Laut Seherr-Thoß braucht es dafür einen „Kulturwandel“, damit nicht jedes Land allein voranschreitet. Darüber hinaus plädierten alle Diskutanten für eine größere Vertiefung in strategischen Entscheidungen. Nur mit klaren Rahmenbedingungen könne flexibler auf Geschehnisse reagiert werden.
Aus Sicht von Seherr-Thoß müsse zudem über neue Arten der Finanzierung von Sicherheit nachgedacht werden, etwa durch sogenanntes Venture Capital wie in den USA. Sie betonte ferner, dass die EU ihre Verteidigungsfähigkeit schneller ausbauen müsse als eigentlich bis 2030 angedacht, weil Russland aktuell einen starken Zulauf bei neuen Partnerschaften habe.
Idee eines Generalstabs für Europa
In Bezug auf den Ukraine-Krieg ergänzte Herfried Münkler, dass Russland dort im Vorteil sei, da es längerfristig Personal für die Front organisieren könne als die Ukraine. Beispielsweise aus Nordkorea. Dennoch habe Russland nicht mit der Widerstandsfähigkeit der Ukraine gerechnet und setze daher auf eine „Niederwerfungsstrategie“, der Dauer des Krieges als strategische Ressource.
Münkler sprach sich für die Idee eines Generalstabs für Europa aus, welcher die europäische Sicherheits- und Verteidigungspolitik koordinieren solle. Auf die Frage aus dem Publikum nach einer nuklearen Bewaffnung der EU, sagte Münkler, dass der Kontinent diese benötige. Allerdings nur, wenn der Schutzschirm bis nach Polen und Estland reiche. Andernfalls könne es zu Unstimmigkeiten kommen, welche in der aktuellen Situation verhindert werden müssten. (ht/09.07.2025)