AfD-Organklage zur Beschlussfähigkeit des Bundestages unzulässig

Das Bundesverfassungsgericht hat seinen Sitz in Karlsruhe. (© picture alliance/dpa | Matthias Balk)
Der Zweite Senat des Bundesverfassungsgerichts hat eine Organklage der AfD-Bundestagsfraktion zur Beschlussfähigkeit des Bundestages als unzulässig verworfen (Aktenzeichen: 2 BvE 3 / 20). Wie das Gericht am Dienstag, 24. Mai 2025, mitteilte, hatte die Fraktion in mehreren Sitzungen in der Wahlperiode von 2017 bis 2021 die Beschlussfähigkeit angezweifelt. In ihren Anträgen beanstandete sie unter anderem, dass das Präsidium in zwei Sitzungen keinen sogenannten Hammelsprung anordnete, um die Stimmen zählen zu lassen. Die AfD sah sich dadurch in ihren Rechten verletzt. Als Begründung für die Unzulässigkeit der Organklage verweist das Gericht darauf, dass die einzelnen Anträge der Fraktion unterschiedliche Zulässigkeitsvoraussetzungen nicht erfüllten.
Plenarsitzung am 28. Juni 2019
Wie das Gericht ausführt, bezweifelte die AfD-Fraktion am 28. Juni 2019 gegen 1.27 Uhr die Beschlussfähigkeit, als die Abstimmung über mehrere Gesetzentwürfe zum Datenschutzrecht in zweiter Lesung aufgerufen wurde. Die amtierende Bundestagspräsidentin Claudia Roth (Bündnis 90/Die Grünen) erwiderte, der Sitzungsvorstand habe miteinander diskutiert und sei der Meinung, dass die Beschlussfähigkeit gegeben sei.
Der Bundestag ist beschlussfähig, wenn mehr als die Hälfte seiner Mitglieder im Sitzungssaal anwesend ist. Wird vor Beginn einer Abstimmung die Beschlussfähigkeit von einer Fraktion oder von anwesenden fünf Prozent der Abgeordneten bezweifelt und auch vom Sitzungsvorstand nicht einmütig bejaht, müssen die Stimmen in Form eines Hammelsprungs gezählt werden. Dabei verlassen die Abgeordneten den Plenarsaal und betreten ihn durch verschiedene Türen, die mit „Ja“, „Nein“ und „Enthaltung“ markiert sind. Dabei werden sie von jeweils zwei Schriftführern an jeder Tür gezählt.
Eilantrag am 17. September 2019 abgelehnt
Über die Gesetzentwürfe wurde dann ohne Hammelsprung abgestimmt, sie erhielten – festgestellt anhand der Fraktionsstärken – die Mehrheit der abgegebenen Stimmen. Im anschließenden Sitzungsverlauf wurde auch noch das Gesetz zur Änderung des Gesetzes über Energiedienstleistungen und andere Effizienzmaßnahmen beschlossen.
Am 7. Juli beantragte die AfD-Fraktion beim Bundesverfassungsgericht den Erlass einer einstweiligen Anordnung, die dem Bundespräsidenten bis zur endgültigen Klärung der Rechtslage untersagen sollte, die beschlossenen Gesetze auszufertigen und zu verkünden. Mit Beschluss vom 17. September 2019 lehnte der Zweite Senat diesen Eilantrag ab.
Plenarsitzung am 8. November 2019
In der Bundestagssitzung am 8. November 2019 rief der amtierende Bundestagspräsident Dr. Hans-Peter Friedrich (CDU/CSU) gegen 1.45 Uhr die Abstimmung den Gesetzentwurf zur Änderung des Energiewirtschaftsgesetzes und zur Umsetzung der EU-Richtlinie über gemeinsame Vorschriften für den Erdgasbinnenmarkt auf. Der AfD-Abgeordnete Dr. Götz Frömming zweifelte für seine Fraktion die Beschlussfähigkeit des Bundestages an.
Das Präsidium war der Meinung, dass die Beschlussfähigkeit gegeben war. Daraufhin beantragte der AfD-Abgeordnete Norbert Kleinwächter eine namentliche Abstimmung. Der Gesetzentwurf wurde zunächst per Handzeichen in zweiter Lesung angenommen. Die namentliche Schlussabstimmung in dritter Lesung ergab 133 abgegebene Stimmen. Daraufhin wurde die Beschlussunfähigkeit des Bundestages festgestellt und die Sitzung aufgehoben.
AfD: „Geheime Vereinbarung“ im Bundestagspräsidium
Die AfD-Fraktion erhob am 7. Mai 2020 Organklage gegen den Bundestag, Vizepräsidentin Roth und Vizepräsident Friedrich. Mit den ersten beiden Anträgen machte sie geltend, das Verhalten des Sitzungsvorstands habe sowohl ihre eigenen verfassungsmäßigen Rechte als auch Mitwirkungsrechte des Bundestages bei der Gesetzgebung verletzt. Der dritte Antrag richtete sich nach Darstellung des Gerichts auf die Feststellung einer Rechtsverletzung. Mitglieder des Bundestagspräsidiums hätten eine geheime Vereinbarung getroffen, wonach künftige „Bezweiflungen der Beschlussfähigkeit“ der AfD-Fraktion „durch einmütiges Bejahen der Beschlussfähigkeit seitens des Sitzungsvorstands ins Leere laufen sollten“.
Nach Darstellung des Zweiten Senats wurde der Antrag zu den Gesetzesbeschlüssen in der Sitzung am 28. Juni 2019 zu spät, erst nach Ablauf der sechsmonatigen Antragsfrist, gestellt. Der Antrag zur Sitzung am 8. November schildere weder ein Verhalten des Vizepräsidenten Friedrich, das ein von der Fraktion geltend gemachtes Recht verletzt haben könnte, noch werde dargelegt, dass sich der Antrag gegen den richtigen Antragsgegner richtet. Der Präsident des Deutschen Bundestages sei auch dann der richtige Antragsgegner, wenn es um die Maßnahme eines Stellvertreters geht, da die Stellvertreter als „amtierende Präsidenten“ an seiner Stelle handeln.
„Kein tauglicher Antragsgegenstand“
Der Antrag gegen eine „heimliche Abrede“ im Sitzungsvorstand beziehe sich nicht auf einen „tauglichen Antragsgegenstand“, so der Senat. Bundestagspräsident Schäuble hatte nach der Sitzung vom 28. Juni 2019 durch eine Pressemitteilung bekannt gemacht, dass das Präsidium des Bundestages einhellig der Auffassung sei, der Sitzungsvorstand habe die Vorschriften der Geschäftsordnung über die Feststellung der Beschlussfähigkeit korrekt angewandt.
Vor diesem Hintergrund erschließe sich nicht, so der Zweite Senat, dass ein vergleichbares Vorgehen eines amtierenden Präsidenten in einem späteren vergleichbaren Fall nicht auf der Diskussion im Ältestenrat – in dem die AfD-Fraktion vertreten war – und der veröffentlichten Einschätzung des Präsidiums, sondern auf einer heimlichen Verabredung beruhen sollte. Zudem wäre eine Abrede, wie die Fraktion sie behaupte, nicht rechtserheblich. Gespräche insbesondere zur Abstimmung eines gemeinsamen Vorgehens gehörten zu den notwendigen und gewöhnlichen Vorbereitungen parlamentarischen Handelns, heißt es weiter. (vom/24.06.2025)