Tobias Winkler: Wir müssen eigenständig für unsere Sicherheit sorgen

Tobias Winkler, CSU-Bundestagsabgeordneter und Mitglied der deutschen Delegation zur Parlamentarierversammlung der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) (© DBT/Thomas Imo/photothek)
„Die größte Herausforderung für die europäische Sicherheit ist der mit Waffengewalt geführte Imperialismus von Wladimir Putin“, sagt Tobias Winkler (CDU/CSU), Mitglied der deutschen Delegation zur Parlamentarischen Versammlung der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE PV), die am 20. und 21. Februar 2025 zu ihrer Wintertagung in Wien zusammenkam. Nachdem sich Europa „viele Jahrzehnte auf die Sicherheitsgarantie der USA verlassen“ habe, müsse es nun „umso schneller handeln“ und mehr in seine Verteidigungsfähigkeit investieren, um den Rückstand aufzuholen und sich in die Lage zu versetzen, eigenständig für seine Sicherheit zu sorgen. Im Interview berichtet der CSU-Außen- und Europapolitiker aus dem Wahlkreis Fürth über seine aktuellen Eindrücke sowohl aus der Ukraine als auch aus den USA, spricht über die Politik der neuen US-Regierung und die Bindekraft der transatlantischen Beziehungen sowie über die Rolle, die die OSZE bei der Absicherung eines dauerhaften Friedens in der Ukraine spielen könnte. Das Interview im Wortlaut:
Herr Winkler, der russische Angriff auf die Ukraine hat sich im Februar zum dritten Mal gejährt. Der Krieg zieht sich hin. Sie sind kürzlich von einer Reise im Auftrag der OSZE aus der Ukraine zurückgekommen. Was für Eindrücke haben Sie dort gewonnen?
Mitte Februar habe ich die Ukraine das zweite Mal seit der Invasion vor drei Jahren besucht. Meine persönlichen Eindrücke aus Kyjiw beschreiben eine Stadt, in der auf den ersten Blick nur wenig an den Krieg erinnert. Auf den zweiten Blick sieht man, dass auf den Straßen überwiegend Frauen und Kinder zu sehen sind, nachts wird nur sehr spärlich beleuchtet und die Handy-App, die vor Luftalarm warnt, alarmiert immer wieder, völlig unvermittelt, Tag und Nacht. Am Morgen unserer Ankunft stürzte eine Rakete nicht weit vom Parlamentsgebäude und unserem Hotel in einen Park. Man sieht in der Stadt relativ wenige Zerstörungen, aber immer wieder Orte, an denen der Soldaten gedacht wird, mit Flaggen, Bildern, Briefen, zerstörten Militärfahrzeugen oder anderen Symbolen. Das ist ergreifend und lässt niemanden kalt.
Ihre Reisen nach Kyjiw sind jedes Mal ein großer zeitlicher Aufwand, insbesondere da Sie ab Polen auf den Nachtzug angewiesen sind. Warum ist es so wichtig, sich als Abgeordneter vor Ort persönlich ein Bild zu machen? Reichen dazu die Berichte und Schilderungen in den Medien und durch Ihre Kollegen aus dem ukrainischen Parlament nicht aus?
Wer Butscha besucht hat und sieht, wie wahllos in den 33 Tagen der russischen Besatzung im Februar 2022 über 500 ukrainische Zivilisten ermordet wurden, Frauen, Kinder, alte Menschen, der versteht die hohe Motivation, mit der die Ukrainer verhindern wollen, dass ihr Land in russische Hände fällt. Die Stimmung, die von solchen Orten ausgeht, ist unbeschreiblich und können Sie nur bei einem Besuch aufgreifen. Andererseits ist es auch für die ukrainische Seite von großer Bedeutung, dass die Menschen spüren und sehen, dass sie nicht allein gelassen werden.
Bei Ihrer Reise im Februar haben Sie auch einige hochrangige Politiker, unter anderem den Präsidenten des ukrainischen Parlaments, der Werchowna Rada, Ruslan Stefantschuk getroffen. Was können Sie aus den politischen Gesprächen berichten?
Zum Zeitpunkt meines Besuchs gab es die ersten Berichte über das Telefonat zwischen US-Präsident Donald Trump und Wladimir Putin, wenige Stunden vor unserer Ankunft. Die Angst, dass ein Diktatfrieden über die Köpfe der Ukrainer hinweg vereinbart werden könnte, war groß. Es gab auch die Bitte, dass die EU und die OSZE mit am Tisch sitzen sollten, wenn mit der Ukraine über einen dauerhaften Frieden verhandelt werde. Anders als bei meinem letzten Besuch im Sommer 2024 schien ein Kriegsende in absehbarer Zeit realistisch. Die Angst vor einer Niederlage oder einem strategischen Fehler, wie einem Waffenstillstand, den Russland zum Ausbau der Stellungen nutzen könnte, war immer wieder spürbar.
Der Krieg in der und um die Ukraine war auch Thema bei der Münchner Sicherheitskonferenz (MSC), die kurz vor der OSZE-Tagung stattfand. Wie bewerten die Parlamentarier die dortigen diplomatischen Vorstöße seitens der USA, um den Krieg zu beenden?
Die Sorge vor einem kompletten Stopp der Unterstützung durch die USA war groß. Die US-Abgeordneten waren sichtlich bemüht, das Vertrauen aufrecht zu halten und relativierten in Teilen die Aussagen des US-Vizepräsidenten J. D. Vance auf der MSC. Der Stil des US-Präsidenten wurde von verschiedenen Seiten kritisiert. Es gab aber auch einige Stimmen, die darauf hofften, dass eine neue Dynamik auch neue Möglichkeiten für Verhandlungen bieten könnte. Die Unterstützung für die Ukraine und die Aufrechterhaltung der regelbasierten Ordnung, auch im Sinne der Helsinki-Schlussakte, überwogen mit großer Mehrheit bei den Delegationen.
Welche Rolle kommt der OSZE als größter regionaler Sicherheitsorganisation der Welt und als ein Ort der internationalen Diplomatie und Abstimmung bei der Beendigung des Ukraine-Krieges zu – insbesondere wenn man an die jüngsten Alleingänge der neuen US-Regierung denkt?
In der OSZE sind neben den USA auch Russland und die Ukraine Mitglied. Damit bietet die Organisation einen geeigneten Rahmen für Gespräche und Verhandlungen auch über einen Friedensschluss hinaus. Wenn ein Frieden dauerhaft abgesichert werden soll, ist dies eine große militärische, aber auch eine diplomatische Herausforderung. Bei Letzterem könnte der OSZE eine wichtige Rolle zufallen, ebenso bei der Etablierung einer Nachkriegsordnung, der Durchführung von Wahlen oder der Ahndung von Kriegsverbrechen, deren Dokumentation sie bereits heute unterstützt.
Sicherheit wurde in Westeuropa in den vergangenen Jahrzehnten stets transatlantisch gedacht, die USA sind selbst Mitglied der OSZE und führen mit der Nato das mächtigste Verteidigungsbündnis der Welt an. Kann die OSZE dazu beitragen, Washington davon zu überzeugen auf dem europäischen Kontinent engagiert zu bleiben?
Donald Trump ist kein Freund von internationalen Organisationen, da er die USA so stark wähnt, dass durch die US-Mitgliedschaft stets nur die anderen profitierten. Der Nutzen für das eigene Land scheint ihm oft nicht recht bewusst zu sein. Die europäischen Verbindungen zu den USA sind kein dickes Seil, das man mit einem Hieb durchschlagen kann, sondern es sind abertausende dünne Fäden, die in Summe eine viel größere Widerstandsfähigkeit aufweisen. Die Verbindungen zwischen einzelnen Abgeordneten sind deshalb wichtig – als Gesprächskanäle, für die gegenseitige Verständigung und als Gewinn für beide Seiten.
Als OSZE-Wahlbeobachter in den USA haben Sie im vergangenen November einen tiefen Einblick in das Land bekommen. Hilft Ihnen das nachzuvollziehen, wie die aktuelle US-Politik in Amerika mehrheitsfähig werden konnte?
Der amerikanische Wahlkampf war von Populismus geprägt. In einer komplexen Welt konnte die Kampagne der Republikaner mit einfachen Antworten vielen Menschen Hoffnung geben. „Make America Great Again“ versprach die Lösung gegen steigende Preise, Wohlstandsverluste, Wirtschaftskrise, Migration oder die Übergriffigkeit des Staates zu sein. Mit den Themen trafen die Republikaner sehr viel besser die Sorgen der Durchschnittsamerikaner als es die Demokraten und Kamala Harris vermochten. Dazu kamen die riesigen Summen für den Wahlkampf in zweistelliger Milliardenhöhe, die in TV-Spots und Social-Media-Kampagnen gesteckt wurden. Ob die aktuelle US-Politik mehrheitsfähig ist, muss sich aber erst noch beweisen. Dazu ist es nur wenige Wochen nach Amtsantritt noch viel zu früh.
Das Generalthema der OSZE-Versammlung lautete: „Herausforderungen für die europäische Sicherheit“. Gehört nun der amerikanische Rückzug zu den größten Herausforderungen für die europäische Sicherheit?
Nein. Die größte Herausforderung für die europäische Sicherheit ist der mit Waffengewalt geführte Imperialismus von Wladimir Putin. Die Großmachtphantasien und sein Versuch, mit militärischen Mitteln ein großrussisches Reich wiederzuerlangen, bedrohen die westliche Wertegemeinschaft, die liberale Demokratie und die Sicherheit in ganz Europa. Wir haben uns viele Jahrzehnte auf die Sicherheitsgarantie der USA verlassen, ohne selbst mehr in unsere Verteidigungsfähigkeit zu investieren. Die Hoffnung auf ein friedliches Europa hat die europäischen Staaten bequem werden lassen. Nun müssen wir umso schneller handeln, um den Rückstand aufzuholen und uns in die Lage zu versetzen, eigenständig für unsere Sicherheit zu sorgen.
Müssen jetzt die Europäer, allen voran die Europäische Union, mehr für ihre Sicherheit tun als lediglich den „europäischen Pfeiler in der Nato“ zu verstärken?
Es wäre naiv zu glauben, dass 350 Millionen US-Amerikaner dauerhaft für die Sicherheit von über 500 Millionen Europäern bezahlen. Wir sind in der EU stark genug, dies selbst zu organisieren. Dazu brauchen wir aber den politischen Willen und müssen unsere Prioritäten neu justieren. Unsere Kräfte zu bündeln, das bedeutet nicht nur bei der direkten Verteidigung, sondern bereits bei der Beschaffung von Material oder strategischer Lastenteilung. Hier kann und muss die EU in den nächsten Jahren sehr viel mehr erreichen, nicht gegen die Nato, sondern als sinnvolle Ergänzung.
Sie sind in der OSZE-PV-Berichterstatter für Politische Angelegenheiten und Sicherheit. Was sind sind in Ihrem Bericht die wichtigsten Punkte und was hat die Versammlung bei der Wintertagung neben der Ukraine noch bewegt?
Auf der Wintertagung stelle ich als Berichterstatter die Leitlinien für meinen jährlichen Bericht vor, der während der Tagung im Juli verabschiedet wird. Auch hier war es mir wichtig, die Unterstützung für die Ukraine in den Mittelpunkt zu stellen, aber ich habe mich selbstverständlich auch anderen Regionen und Themen gewidmet. Der Nahe Osten, der Südkaukasus, Zentralasien oder der Balkan spielten ebenso eine wichtige Rolle wie der Schutz kritischer Infrastruktur, der Kampf gegen Antisemitismus oder die Finanzierung und Aufgaben der OSZE, die 50 Jahre nach der Helsinki-Schlussakte gefordert ist wie vielleicht nie in ihrer Geschichte. Die OSZE ist eine einmalige Plattform für Diplomatie, auch in schwierigsten Zeiten, sofern die Teilnehmer echte Dialogbereitschaft zeigen und die regelbasierte Ordnung respektieren. Ich hoffe sehr, dass wir die Kraft haben, diese einmalige Organisation in eine gute Zukunft zu führen und dass ihre Möglichkeiten dazu beitragen, zwischen den 57 Mitgliedsländern wieder dauerhaften Frieden zu sichern, von Vancouver bis Wladiwostok. (ll/12.03.2025)