Fokusshow | 21. Mai – 5. Oktober 2025

Harald Hauswald. Die TEXAS BOX

Harald Hauswald und Lutz Rathenow, 1986

(© Harald Hauswald)

Der Ost-Berliner Fotograf Harald Hauswald zählt zu den bedeutendsten Fotografen der DDR. Seine Bilder vom Alltag in Ost-Berlin prägten das Bild der DDR im Ausland, wo er trotz Verbot in Zeitungen wie der Westberliner taz, der Zitty oder dem Magazin GEO (meist anonym) veröffentlicht wurde. Mehr als 250.000 Bilder umfasst das OEuvre des Fotografen, in deren Zusammenschau sich ein leises, manchmal absurdes, oft heiteres Bild vom Leben jenseits der Mauer herstellt. Hauswald war nicht der einzige Fotograf, der auf diese Weise in der DDR arbeitete, aber ein besonderer – ein Underdog, der in Ost-Berliner Künstlerkreisen vernetzt und selbst Teil oppositioneller Gruppen war, mit seiner Fotografie aber wenig öffentlich in Erscheinung trat. Hauswald fotografierte Alte und Junge, Punks und Paare, Straßenbahnfahrende und Wartende, vor Geschäften Anstehende und Feiernde, Fußballfans und Fußballer, ab Mitte der 1980er Jahre immer mehr oppositionelle Schriftstellerinnen und Schriftsteller, Künstlerinnen und Künstler und Friedensaktivistinnen und -aktivisten. Seine Fotografien zeigten Alltag und waren Alltag – eine nicht abgeschlossene, andauernd fortgeschriebene Dokumentation in Schwarzweiß, die große Nähe zu den Fotografierten und einen unverstellten Blick in den Alltag jenseits der Mauer ermöglichte. 

Die Staatssicherheit observierte Hauswald ab 1977 unter dem Decknamen „Radfahrer“. 1985 wurde ein Haftbefehl ausgestellt, der mit „staatsfeindlicher Hetze“ und „Agententätigkeit“ begründet wurde. Hauswald arbeitete schon damals gemeinsam mit dem in der DDR verbotenen oppositionellen Lyriker Lutz Rathenow zusammen. Rathenow verschaffte Hauswald Kontakte zu westdeutschen Medien und 1984 in einem kleinen Westberliner Verlag den ersten Auftritt als konzeptionellen Fotokünstler. Diese verbotenen Kontakte waren ein Hauptgrund für die Überwachung, sie schützten Hauswald und Rathenow jedoch gleichzeitig vor einer tatsächlichen Inhaftierung, die von der Staatssicherheit selbst als „aus politischen Gründen nicht ratsam“ beurteilt wurde. Man fürchtete eine sofortige Berichterstattung über bundesdeutsche Medien hinaus.

Anlässlich der 750-Jahr-Feier Berlins im Jahr 1987 erschien das Buch „Ost-Berlin. Die andere Seite der Stadt“ mit Fotografien Hauswalds und Texten Rathenows im Piper-Verlag München. Es sollte ein Gegenentwurf zu den geschönten offiziellen Darstellungen sein und das Leben der Ost-Berliner ohne Propaganda zeigen. Schnell wurde es als „ein Berlin-Buch [gewürdigt], das die Chance hat, auch in 50 Jahren noch wichtig zu sein …“ (Die Welt, 1987). Bis heute wird es in neuen Ausgaben und zahlreichen Auflagen neu aufgelegt.

Die Fotografien kamen als Originalprints im selben Jahr in die USA. Lutz Rathenow hatte eine Einladung für eine Gastprofessur in Austin erhalten, um dort über sein Schreiben in der DDR und über die Arbeit am Buch zu berichten. Die Ausstellung der Fotografien sollte parallel das eigensinnige, staatsunabhängige künstlerische Selbstbewusstsein einer neuen Kunstszene in Ost-Berlin vorstellen.

Der Transport der Bilder erfolgte über die amerikanische Kulturattachée. Lutz Rathenow erinnerte: „Wir aßen gelegentlich zusammen und bekamen im Restaurant des Westdevisenhotels “Metropol„ immer denselben Tisch zugewiesen – ich vermute, aus Abhörgründen. Von meiner Seite aus waren die Gespräche auch etwas inszeniert für die potenziell Mithörenden. Ich übergab die von Harald ausgewählten, gut verpackten Fotos in einem Paket im Hotel “Metropol„ vor dem Essen. Ich erinnere mich an ihren Hinweis, dass dies alles zuverlässig in Texas lande. Aber jeder Brief würde zuvor in der Botschaft geöffnet und inspiziert werden. Das fand ich immerhin transparent, sie sah es als ihre Aufgabe an, solch eine Kulturvermittlung zu fördern. Unsere Aktivität war illegal, real dennoch weniger gefährlich als andere Foto-Aufträge für Harald. Wir wurden doppelt aufgewertet – erstens als in den USA plötzlich wahrgenommene Künstler, zweitens durch den sicher dokumentierten Kontakt zur Botschaft und einer amerikanischen Universität.“

In Austin wurden die Schwarzweißbilder ab dem 9. November 1987 auf dem Universitätscampus in Vitrinen präsentiert. Sowohl Hauswald als auch Rathenow waren zur Eröffnung eingeladen worden, bekamen jedoch keine Reisegenehmigung. Das Ministerium für Kultur der DDR hatte schon vorher eine Genehmigung für Rathenows Gastdozentur in Austin abgelehnt. Das Original des Ministeriumschreibens ließ Lutz Rathenow schon 1986 in der Wochenzeitung „DIE ZEIT“ veröffentlichen. Die Begründung der Ablehnung des Reiseantrags lautete: „Wir sind daran interessiert, dass Schriftsteller und Künstler der DDR im Ausland auftreten, die durch ihre literarischen Werke und ihre künstlerische Arbeit nachgewiesen haben, dass sie die Politik und Kulturpolitik unseres Staates anerkennen und respektieren und sich mit persönlichem Engagement für das Ansehen der DDR einsetzen.“

Die Fotografien verblieben so nach Ende der Ausstellung im Fundus der Universität – sorgfältig passepartouriert und in Archivkartons aufbewahrt. Dreißig Jahre später erinnerte sich Hauswald an das Konvolut und nahm über die von ihm mitgegründete Agentur OSTKREUZ Kontakt nach Texas auf. Tatsächlich wurde der Professor gefunden, der die Fotos archiviert hatte. 2024 kamen die einst illegal ausgereisten Fotografien in vier museumsgerechten Boxen verpackt zurück in ein wiedervereintes, in vielerlei Hinsicht verändertes Berlin. Auch im einstigen Ost-Berlin sind Hauswalds Motive von damals nicht mehr zu finden.

Konzept und Realisation: Kristina Volke, Kuratorin und Leiterin der Kunstsammlung des Deutschen Bundestages, in Zusammenarbeit mit Harald Hauswald und Lutz Rathenow