Vor 75 Jahren: Der erste Ordnungsruf im Deutschen Bundestag

Der KPD-Abgeordnete Heinz Renner (rechts), hier 1952 mit Bundestagspräsident Hermann Ehlers, erhielt am 20. September 1949 den ersten Ordnungsruf in der Geschichte des Bundestages. (© picture-alliance/ dpa | Georg Brock)
Am Dienstag, 20. September 1949 erhielt der KPD-Abgeordnete Heinz Renner (1892 bis 1964) den ersten Ordnungsruf in der Geschichte des Deutschen Bundestages. Die Bundesregierung war gerade vereidigt worden, und Bundeskanzler Konrad Adenauer (1876 bis 1967, CDU) stellte dem Parlament in Bonn das Regierungsprogramm vor. Als er dabei – auch mit Blick auf die Sowjetunion – die „Mithilfe aller Völker“ bei der Rückgabe deutscher Kriegsgefangener und Verschleppter forderte, unterbrach ihn Heinz Renner mit dem Zwischenruf: „Das erreicht man aber nicht durch die verlogene Hetze!“
Bundestagspräsident Dr. Erich Köhler (1892 bis 1958) fragte nach: „Wen meinen Sie damit, Herr Abgeordneter Renner?“ Renner antwortete: „Die deutschen Parteien, die diese Hetze betreiben!“ Daraufhin erteilte ihm Köhler den Ordnungsruf: „Ich rufe Sie zur Ordnung. Während dieser Erklärung des Herrn Bundeskanzlers derartige Bemerkungen zu machen, stört die Würde des Hauses.“
Ordnung und Würde des Hauses
Für den geordneten Ablauf der Sitzungen ist das Präsidium des Bundestages verantwortlich. Die Präsidentin oder der Präsident und die Stellvertreterinnen und Stellvertreter leiten die Plenarsitzungen, erteilen das Wort und überwachen die Einhaltung der Geschäftsordnung. Bei Verstößen kann das Präsidium verschiedene Ordnungsmaßnahmen ergreifen, angefangen beim Sach- und Ordnungsruf über Wortentzug und Ordnungsgeld bis hin zum Sitzungsausschluss.
Der Ordnungsruf ist in Paragraf 36 der Geschäftsordnung des Bundestages geregelt. Ein Mitglied kann mit Namensnennung zur Ordnung gerufen werden, wenn es die Ordnung oder die Würde des Parlaments verletzt, etwa durch unzulässige Zwischenrufe, Beleidigungen oder andere Störungen. Gegen einen Ordnungsruf kann das betroffene Mitglied Einspruch einlegen. Über diesen entscheidet das Plenum ohne Aussprache.
Wird ein Redner oder eine Rednerin während einer Debatte dreimal gerügt – etwa durch Sach- oder Ordnungsrufe –, kann ihm oder ihr das Wort entzogen werden. In schweren Fällen kann ein Sitzungsausschluss von bis zu 30 Sitzungstagen erfolgen oder ein Ordnungsgeld verhängt werden.
Ordnungsrufe seit 1949
Seit der Konstituierung des Bundestages am 7. September 1949 sorgten kontroverse Äußerungen wiederholt für Ordnungsrufe aus dem Präsidium. In der ersten Wahlperiode (1949 bis 1953) wurden mit 156 Ordnungsrufen die bisher meisten ausgesprochen. In späteren Wahlperioden schwankte die Anzahl deutlich. Die 17. Wahlperiode (2009 bis 2013) verzeichnete lediglich einen einzigen Ordnungsruf – ein historischer Tiefststand.
In den vergangenen Jahren nahm die Zahl der Ordnungsrufe wieder deutlich zu. In der 19. Wahlperiode (2017 bis 2021) waren es 47. In der 20. Wahlperiode (2021 bis 2025) wurden 135 Ordnungsrufe erteilt. Zwei weitere Ordnungsrufe wurden zurückgenommen. Die meisten Ordnungsrufe in der 20. Wahlperiode betrafen Abgeordnete der AfD-Fraktion: Stephan Brandner (20), Beatrix von Storch (19) und Martin Reichardt (7).
Abgeordnete mit den meisten Ordnungsrufen
Heinz Renner war nicht nur Urheber des ersten Ordnungsrufs. Mit 31 Ordnungsrufen wurde er zudem häufiger zur Ordnung gerufen als jeder andere Abgeordnete der ersten Wahlperiode. Mit über 400 Redebeiträgen zählte er auch zu den aktivsten Parlamentariern des ersten Bundestages.
Unangefochtener Rekordhalter in Sachen Ordnungsrufe ist bisher der langjährige SPD-Fraktionsvorsitzende Herbert Wehner (1906 bis 1990), der während seiner Parlamentszugehörigkeit von 1949 bis 1983 insgesamt 58 Ordnungsrufe erhielt – mehr als jeder andere Abgeordnete in der Geschichte des Bundestages.
Dokumentation im Plenarprotokoll
Alle Plenardebatten werden vom Stenografischen Dienst des Bundestages dokumentiert. Die Stenografinnen und Stenografen notieren mit bis zu 500 Silben pro Minute nicht nur Redebeiträge, sondern auch Zwischenrufe, Ordnungsrufe, Rügen sowie Beifalls- und Missfallensbekundungen. Auch der erste Ordnungsruf vom 20. September 1949 ist im Plenarprotokoll vollständig nachzulesen. (klz/10.06.2025)