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Hans Haacke (Artikel 14 GG)

Audiodatei des Textes zu Hans Haacke

Artikel 14 (2), 2023

Offsetdruck, Unikat, 124 ×89 cm

Als Hans Haacke 1998 vom Kunstbeirat des Deutschen Bundestages gebeten wurde, einen Entwurf für die künstlerische Gestaltung des nördlichen Lichthofs des Reichstagsgebäudes einzureichen, war nicht zu erwarten, dass das Ergebnis ohne Widerspruch durchgehen würde. Hans Haacke ist ein politischer Künstler, ein unbequemer Provokateur. Wiederholt luden Museen ihn aus, füllte er die Feuilletons mit Debatten zu seinen Werken und sah sich mit dem Vorwurf konfrontiert, nicht Kunst, sondern Politik zu machen. Haacke hatte für den Lichthof eine zweiteilige Installation vorgeschlagen: In einem mit Holzbohlen eingefassten Kiesbett sollten Leuchtbuchstaben liegen, die die Inschrift „Der Bevölkerung“ formen. Die Fläche sollte von Abgeordneten des Deutschen Bundestages und ihren Wählerinnen und Wählern mit Erde gefüllt werden: ein Zentner aus jedem Wahlkreis. Auf diese Weise würde eine einmalige Bodenzusammensetzung entstehen, und die eingebrachten Samen würden im Laufe der Zeit ein eigenes Ökosystem bilden.

Der Stein des Anstoßes lag in den Details. Zum einen reagierte Haacke mit seiner Widmung unmittelbar auf die Inschrift am Giebel des Westportals des Reichstagsgebäudes. „Dem Deutschen Volke“ steht da in einer unverwechselbaren, nur für diesen Zweck entwickelten Schrifttype, die Haacke nun auch für das Beet verwendete. Er begründete dies mit einem Zitat Bertolt Brechts, der im Jahr 1933 postuliert hatte: „Wer in unserer Zeit statt Volk Bevölkerung und statt Boden Landbesitz sagt, unterstützt schon viele Lügen nicht. Er nimmt den Wörtern ihre faule Mystik.“25 Haacke problematisierte damit den mit der Idee der homogenen Nation verbundenen Begriff „Volk“, der im Gegensatz zur heterogenen Lebensrealität einer aus vielen Herkunftsländern stammenden Bevölkerung steht. Bei der Plenardebatte am 5. April 2000 wurde auch die aus den Wahlkreisen mitzubringende Erde problematisch gesehen, zu stark war für einige Abgeordnete die Erinnerung an die Blut- und Bodenpolitik der Nationalsozialisten. Die Debatte, deren Ausgang schließlich denkbar knapp mit zwei Stimmen für das Kunstwerk endete, ist ausführlich dokumentiert. Seit der Eröffnung der Installation am 12. September 2000 haben sich 477 Abgeordnete des Deutschen Bundestages (Stand: März 2025) am Projekt beteiligt. Eine Webcam dokumentiert zudem die Veränderung des Werkes, das in diesem Jahr sein 25. Jubiläum feiert.

Einen ähnlichen Aufruhr hatte Haacke bereits 1993 auf der Biennale in Venedig ausgelöst. Seine Intervention im Deutschen Pavillon war fundamental. Anstatt den Raum als Präsentationsfläche für Kunstwerke zu nutzen, machte er den Bau und die mit ihm verbundene Geschichte zum Thema. Der Pavillon war 1908 im Rokoko-Stil erbaut, 1934 aber fast vollständig von einem neuen Bau ersetzt worden, der, mit Säulen, Marmorfliesen und Portikus ausgestattet, die architektonische Machtsymbolik einer nationalsozialistischen Architektur repräsentierte. Haacke riss den Boden auf und stellte ein wüstes Feld übereinanderliegender Marmorplatten aus. Begleitet wurde diese Intervention von einem Foto, das Hitler und einen italienischen General bei einem Treffen in eben diesem Pavillon 1934 zeigte. Zugleich prangte an der Außenfassade an der Stelle, wo einst ein Hakenkreuz und später die deutsche Flagge angebracht gewesen waren, eine vergrößerte Deutsche Mark – geprägt im Jahr 1990, dem Jahr der Währungsunion und deutschen Wiedervereinigung. Der Zusammenhang zwischen Nationalsozialismus, deutscher Teilung und Wiedervereinigung war in der deutschen Kunst noch nie so radikal formuliert worden. Die Ökonomisierung politischer Interessen, die durch das überdimensional vergrößerte Geldstück an die Stelle eines Hoheitszeichens als Frage im Raum stand, war schon immer eines von Haackes Hauptthemen gewesen – eine Einzelausstellung im Guggenheim Museum New York war 1971 unter anderem wegen zweier Arbeiten abgesagt worden, die die wechselnden Besitzverhältnisse und Spekulationen großer New Yorker Immobilienkonzerne thematisierten. Und auch in seiner Heimatstadt Köln stellte er Fragen nach der Rechtmäßigkeit von Eigentum: 1974 hatte er die wechselnden Besitzverhältnisse an Manets Gemälde „Spargelbündel“ untersucht, darunter viele jüdische Besitzerinnen und Besitzer wie Max Liebermann und dessen Tochter, die 1938 mit ihrem Mann wegen der drohenden Verfolgung nach New York ausgereist waren und das Werk mitgenommen hatten. 1969 wurde es auf Initiative des Bankiers Hermann Josef Abs für das Kölner Wallraf-Richartz-Museum zurückgekauft. Haacke thematisierte die Rolle des Bankiers bei der sogenannten Arisierung von Banken in jüdischem Besitz in der Zeit des Nationalsozialismus. Auch dieses Werk wurde nicht zur Ausstellung zugelassen.

Die Liste der Werke, mit denen Haacke Privateigentum und daraus folgende Einflüsse von Kapital auf andere gesellschaftliche Bereiche, allen voran die Kunst, offenlegte, könnten lange weitergeführt werden. Sie waren der Anlass, Hans Haacke um ein Werk zu Artikel 14 GG zu bitten. Es ist ein schlichter, kurz gehaltener Text, der Eigentum zum Gegenstand hat und dessen Schutz garantiert. Wiederum ist die Aufnahme dieses Artikels in die Grundrechte aus den historischen Erfahrungen zu erklären, da die Nationalsozialisten Eigentum willkürlich beschlagnahmt und geraubt hatten – ganz gleich, ob es sich dabei um Fabriken, Banken, Handwerksbetriebe oder um private Kunstsammlungen aus vor allem jüdischem Besitz gehandelt hatte. Aber der Artikel wirkte auch in Abgrenzung zur DDR, in der Volkseigentum über Privateigentum gestellt wurde und gerade die Nachkriegsjahre von flächendeckenden Enteignungen und Zwangskollektivierungen geprägt waren. Enteignungen sind gemäß Artikel 14 des Grundgesetzes nur zum Wohl der Allgemeinheit zulässig.

Haacke stellt Absatz 2 in den Mittelpunkt seines Werkes: „Eigentum verpflichtet. Sein Gebrauch soll zugleich dem Wohle der Allgemeinheit dienen“. Das Plakat ist in den Farben Schwarz, Rot und Gold gehalten – ein Bezug zu den deutschen Nationalfarben, die in Artikel 22 Absatz 2 des Grundgesetzes festgelegt werden. Formal knüpft Haacke damit an ein künstlerisches Gestaltungsprinzip an, das er bereits für sein Plakat „Wir (alle) sind das Volk“ erprobt hatte. 2017 anlässlich der documenta 14 in Kassel und Athen in den urbanen Stadträumen plakatiert, wurde es ab 2018 immer wieder an den Hauptgebäuden von Hochschulen, Akademien, Kunstvereinen und Museen gezeigt, auch 2020 anlässlich der Art Week Berlin. Das Plakat zeigt den Satz in zwölf verschiedenen Sprachen vor Regenbogenfarben: 

Das Regenbogenmuster verweist auf die queere Community. An der Basis der Säule befindet sich zudem ein schwarzer Balken, der People of Color26 symbolisiert, und am Kopf ein weißer Balken, der für die Weißen steht. Zu den 12 Sprachen, die zur Auswahl stehen, gehören in der Regel Deutsch, Englisch und Französisch sowie weitere Sprachen, die von der Einwanderungsbevölkerung des jeweiligen Landes abhängen. Aufgrund der Standortgebundenheit dieses Werks gibt es viele verschiedene Versionen dieses Plakats. (H.H.)27 

Das Projekt „Wir (alle) sind das Volk“ kann zweifellos wie eine Antwort auf die Diskussion um seine Installation „Der Bevölkerung“ verstanden werden, es ist Haackes weltoffene, an der Bevölkerung selbst entwickelte Definition des Begriffes Volk.

Sein Beitrag zu Artikel 14 GG wirkt fast wie ein Fazit seines Lebenswerks. Für dieses Plakat gibt es keine Kampagne an öffentlichen Plätzen. Es ist eher eine Rückbesinnung auf jeden Einzelnen und eine Aufforderung, sich seiner Rolle und Möglichkeiten bewusst zu werden. Während der Ausstellung wird das Plakat vervielfältigt für die Besucherinnen und Besucher zur Mitnahme ausliegen. Eigentum verpflichtet.