Ikonische Reichstagsverhüllung jährt sich zum 30. Mal
100.000 Quadratmeter aluminiumbedampfte Stoffbahnen und ein insgesamt 15.600 Meter langes blaues Polypropylenseil – dies war das Material, hinter dem das Künstlerehepaar Christo und Jeanne-Claude vor genau 30 Jahren den Reichstag verschwinden ließen und womit sie das vermutlich ikonischste Kunstwerk im öffentlichen Raum der deutschen Hauptstadt schufen.
24 Jahre Planung und ein gewaltiges Maß an Überzeugungsarbeit waren nötig geworden, um den „Wrapped Reichstag“ 1995 Jahren Realität werden zu lassen. Mehr als 60-mal reisten die Christos nach Berlin, um das Reichstagsgebäude in Augenschein zu nehmen und persönliche Gespräche mit Abgeordneten zu führen, bevor die Bonner Parlamentarier schließlich grünes Licht für das Projekt gaben. In namentlicher Abstimmung votierten am 25. Februar 1994 292 Parlamentarier für das Kunstwerk, 223 stimmten dagegen. Neun Abgeordnete enthielten sich und eine Stimme war ungültig.
„Versöhnung mit dem Reichstag“
Unter vielen Abgeordneten gab es Befürchtungen, das Projekt könne die Würde des Hauses verletzten. Befürworter hingegen verbanden mit der Aktion eine Verwandlung vom historischen Reichstagsgebäude zum neuen Parlamentssitz des wiedervereinigten Deutschlands. Bundestagspräsidentin Rita Süssmuth unterstützte das Künstlerehepaar ab 1991 in seinem Vorhaben und gab den Christos erstmals eine konkrete Perspektive.
Mit fünf Millionen Besuchern in der Zeit zwischen dem 24. Juni und dem 7. Juli 1995 erzeugte der „Wrapped Reichstag“ schließlich enorme Aufmerksamkeit – in Deutschland, aber auch im Rest der Welt. Ausländische Medien berichteten wohlwollend über die Bundesrepublik, die sich mit heiterer, friedvoller Gelassenheit präsentiere. So titelte die New York Times am 23. Juni 1995: „Christos Verhüllter Reichstag – Symbol für das neue Deutschland“. Die französische Zeitung Le Figaro befand am 4. Juli 1995: „Christo versöhnt die Deutschen mit dem Reichstag“.
Christo: Wir kreieren keine Symbole
Die Verhüllung des Reichstagsgebäudes begann in der Nacht vom 17. auf den 18. Juni 1995. Da die Verhüllung selbst als Teil des Kunstwerks betrachtet wurde, sollte sie von Menschen durchgeführt werden. Deshalb verzichtete man bewusst auf den Einsatz von Kränen, Hebebühnen, Maschinen oder Gerüsten. Stattdessen waren 90 Gewerbekletterer und 120 Montagearbeiter im Einsatz.
Das Material für die temporäre Verhüllung, die etwa 13 Millionen DM kostete, wurde von zehn deutschen Unternehmen hergestellt. Die Finanzierung erfolgte durch den Verkauf von Originalarbeiten Christos, darunter Projektstudien, Collagen, Zeichnungen und Modelle. Insgesamt wirkten mehr als 1.400 Menschen an dem Ablauf des Großprojektes mit. Die Christos bemühten sich, ihren Werken keine Interpretationen vorzugeben. In einem Interview sagte Christo 2003: „Wir kreieren keine Symbole oder Botschaften, wir kreieren Kunstwerke“.

24 synchronisierte Projektoren beleuchten die Westfassade des Reichstagsgebäudes. (© Wolfgang Volz/1995 Christo and Jeanne-Claude Foundation)
Anlässlich des 30. Jahrestags der Reichstagsverhüllung fand vom 9. bis 20. Juni 2025 eine spezielle Lichtinstallation statt. Jeden Abend zwischen 21.30 Uhr und 1 Uhr wurde die Westfassade des Reichstagsgebäudes von 24 synchronisierten Projektoren so beleuchtet, dass die damalige Verhüllung aufs Neue erlebt werden konnte. (ste/21.06.2025)