Allgemeine Informationen zu den Berechnungsverfahren
Azur bietet die folgenden drei gebräuchlichsten mathematischen Verfahren an:
- d´Hondt
- Sainte Laguë/Schepers
- Hare/Niemeyer
Für die Ermittlung von Anteilen (Sitzverteilungen) werden an derartige Verfahren grundsätzlich die folgenden Anforderungen gestellt:
- Die ermittelten Anteile in der Zusammensetzung des abgeleiteten Gremiums müssen ganzzahlig sein (Integritätsforderung).
- Die Summe der einzelnen Anteile muss der vorgegebenen Größe des abgeleiteten Gremiums entsprechen (Summenforderung).
- Die einzelnen Anteile der Parteien im Gremium sollen sich zueinander und zur Größe des Gremiums so verhalten, wie sich ihre Anteile in der Ausgangsmenge verhalten (Proportionalitätsforderung).
- Die Anteile sollen sich aus dem Verfahren eindeutig ergeben, d.h. das Verfahren soll für eine vorgegebene Größe des abgeleiteten Gremiums nicht mehrere gleich gültige Verteilungen liefern (Eindeutigkeitsforderung).
Für die Ermittlung von Reihenfolgen gibt es im Wesentlichen nur eine Forderung:
- Das Verfahren soll eine durchgehend eindeutige Reihenfolge für die Zugriffe der beteiligten Parteien liefern (Eindeutigkeitsforderung für Reihenfolgen).
Bei den Verfahren lassen sich diese Forderungen nur in Ausnahmefällen alle zugleich erfüllen. Wenn man beispielsweise von der Integritätsforderung und der Summenforderung nicht abrücken will beziehungsweise kann, müssen die notwendigen Abstriche bei der Proportionalitätsforderung gemacht werden. Das heißt, das Ergebnis solcher Berechnungen trifft zwar in der Summe das vorgegebene Gremium, und die Zusammensetzung besteht aus ganzzahligen Anteilen der einzelnen Parteien, die Verhältnisse zwischen den Anteilen in dem abgeleiteten Gremium und in der Ausgangsmenge stimmen meistens jedoch nicht exakt überein. Auch liefern die Verfahren nicht immer eindeutige Ergebnisse.
Verfahren nach d'Hondt
Das Verfahren wurde von dem belgischen Professor der Rechtswissenschaft Victor d´Hondt in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts entwickelt. Es wurde beim Deutschen Bundestag für die Besetzung der Ausschüsse eingesetzt, bis es am 4. November 1970 (in der 6. Wahlperiode) durch das Verfahren nach Hare/Niemeyer abgelöst wurde. Für die Besetzung einiger besonderer Gremien, zum Beispiel für die Mitglieder kraft Wahl des Richterwahlausschusses, nach dem Richterwahlgesetz, ist das Verfahren nach d´Hondt bis heute (20. Wahlperiode des Deutschen Bundestages) im Einsatz. Dieses überhaupt bisher am häufigsten eingesetzte Verfahren wird auch an anderen Stellen, insbesondere auf der Landesebene, verwendet.
Vorteile
- Ein Vorteil des Verfahrens besteht darin, dass seine Anwendung einem einfachen Algorithmus folgt.
- Ein weiterer Vorteil ist, dass es (mit Einschränkungen, s. u.) zur Bestimmung einer Reihenfolge geeignet ist.
Nachteile
- Nachteilig ist, dass das Verfahren bei bestimmten Konstellationen zu Mehrdeutigkeiten führen kann. Das heißt, wenn sich Verhältnisse der Ausgangsstärken der Parteien auf Quotienten mit kleinen Zählern und Nennern reduzieren lassen, so gibt es beim Aufbau der Stärke des abzuleitenden Gremiums Stellen, bei denen die Zugriffsberechtigung zwischen mehreren (2, 3, ...) Parteien nicht geregelt ist.
- Es lässt sich zeigen und ist in der Praxis zu beobachten, dass das Verfahren bei starken Größenunterschieden der Anteile der Parteien zu größeren Abweichungen von der Proportionalität führt, und zwar in dem Sinne, dass die kleineren Parteien benachteiligt, die größeren begünstigt werden. Dieses Verhalten wird bei dem Verfahren nach Sainte Laguë/Schepers vermieden.
Weitergehende (auch mathematische) Verfahrensinformationen finden Sie auf der folgenden Seite (nicht barrierefrei): Verfahren nach d´Hondt
Verfahren nach Sainte Laguë/Schepers
Mit dem Ziel, die Benachteiligung kleinerer Parteien nach d´Hondt zu vermeiden, wurde von dem Physiker Hans Schepers eine Modifikation entwickelt. Schepers, seinerzeit als Leiter der Gruppe Datenverarbeitung Bediensteter der Verwaltung des Deutschen Bundestages, schlug sein Verfahren dem Bundestag vor, der es seit der 8. Wahlperiode zur Ermittlung der Zugriffsreihenfolge für die Ausschussvorsitze und seit der 9. Wahlperiode auch für die Besetzung der Ausschüsse einsetzt. Schepers entwickelte seine Vorstellungen in der Formulierung der Rangmaßzahlen. Es zeigte sich, dass sein Vorschlag zu identischen Ergebnissen führt wie das im Jahr 1912 von dem Franzosen A. Sainte Laguë vorgeschlagene Verfahren, der sein Modell in Termini der Höchstzahlendarstellung formulierte.
Vorteile
- Das Verfahren bietet zunächst einmal denselben Vorteil wie das Verfahren nach d´Hondt, nämlich den eines einfachen Algorithmus. Ebenso wie dieses ist es auch zur Festlegung einer Reihenfolge brauchbar - allerdings mit ähnlichen Einschränkungen wie das Verfahren nach d´Hondt.
- Ein möglicher Vorteil gegenüber dem Verfahren nach d´Hondt ist die Aufhebung der Benachteiligung kleinerer Parteien.
Nachteile
- Auch bei diesem Verfahren können Mehrdeutigkeiten auftreten wie bei dem Verfahren nach d´Hondt. Jedoch sind, wenn man die Gesamtheit vieler unterschiedlicher Berechnungsaufgaben betrachtet, solche Vorkommnisse bei Sainte Laguë/Schepers seltener.
Weitergehende (auch mathematische) Verfahrensinformationen finden Sie auf der folgenden Seite (nicht barrierefrei): Verfahren nach Sainte Laguë/Schepers
Verfahren nach Hare/Niemeyer
Das Verfahren wurde in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts von dem Engländer Thomas Hare vorgeschlagen und schon für die Besetzung der Ausschüsse im Reichstag verwendet. Im Jahr 1970 brachte der Mathematiker Horst Niemeyer beim Bundestagspräsidenten dieses Verfahren in Erinnerung, das daraufhin vom Deutschen Bundestag für die Besetzung der Ausschüsse und Gremien beschlossen wurde und bis zum Ende der 8. Wahlperiode im Einsatz war. Für die Bundestagswahlen wird seit der 11. Wahlperiode dieses Verfahren für die Umsetzung der Zweitstimmen in Sitze aus den Landeslisten der Parteien angewendet.
Vorteile
- Das Verfahren hat den Vorteil, dass es sich - zumindest in seinem ersten Schritt - der proportionalen Rechnung bedient und damit in seiner Anwendung durchschaubar ist und plausibel erscheint.
Nachteile
- Das Verfahren kann insbesondere bei kleinen Anteilen zu erheblichen Abweichungen von der Proportionalität führen.
- Wenn mehr Reste identisch sind, als noch Anteile anhand der Reste zu vergeben sind, liegt eine Mehrdeutigkeit vor, für die das Verfahren keine Lösung anbietet.
- Aus den Berechnungen für die verschiedenen Zwischengrößen können Rücksprünge, sogenannte „unlogische Sprünge“ auftreten. Bei diesen wird, wenn man zu einem nächstgrößeren Gremium in der Berechnung fortschreitet, einer Partei ein Sitz, der ihr schon zugeteilt war, wieder entzogen.
Weitergehende (auch mathematische) Verfahrensinformationen finden Sie auf der folgenden Seite (nicht barrierefrei): Verfahren nach Hare/Niemeyer
(30.01.2025)